Die Presse, 02.06.2016
von Walter Weidringer
 
Liederabend, Wiener Staatsoper, 1. Juni 2016
Große Vokalkunst mit Sinn für kecke Pointen
 
Der vielseitige Tenorstar Jonas Kaufmann glänzte, begleitet von Helmut Deutsch, mit Liedern von Gustav Mahler und Benjamin Britten, vor allem aber mit Gesängen von Richard Strauss.
 
Es ist eine Art von vokalem Spitzentanz, den Benjamin Britten im dritten seiner 1940 entstandenen „Seven Sonnets of Michelangelo“ vom Tenor verlangt. Das in „lieblichen Augen“ reflektierte Licht, das Gefühl verliebter Schwerelosigkeit und noch mehr, all das drückt der Komponist durch eine Melodielinie aus, die rätselhaft durch die Tonarten schwebt und von fern an die Verwandlungsmusik in Richard Strauss' „Daphne“ erinnert: Expressive Intervalle bilden gleichsam, sofern genau getroffen, die gut geölten Scharniere in einem harmonischen Kaleidoskop.

Im Mezzavoce von Peter Pears, dem Widmungsträger des Stücks und Lebenspartner Brittens, gewinnt diese imaginäre Szene etwas von bittersüßer Entrücktheit. Bei Jonas Kaufmann klangen die überraschenden Volten nun in noch zarterem Pianissimo filigraner, trotz tadellos gesponnener Fäden auch brüchiger durch seine baritonale, immer etwas kehlige Stimmfarbe. Das muss kein Nachteil sein: Seine gleichsam flüsternde Liebesverwunderung verlieh dem Stimmungsgemälde präzise Konturen.

Jonas Kaufmann, an der Staatsoper zuletzt in zwei denkwürdigen „Tosca“-Aufführungen zu erleben und auch nächste Saison (nur) dreimal als Cavaradossi angekündigt, diesmal ohne Kostüm und Maske: Der Tenorissimo füllt das Haus am Ring auch im Alleingang – pardon!, selbstverständlich gemeinsam mit seinem langjährigen Liedbegleiter Helmut Deutsch.

Dieser ist gleichsam der Idealtypus eines dienstbaren Geistes am Klavier: Immer aufmerksam, immer zur Stelle, schmiegt er sich an alles an, was der ohnehin höchst disziplinierte, seine Mittel subtil einsetzende Sänger im interpretatorischen Sinn hat. Die Rolle eines konzertierenden Widerparts, eines auch herausfordernden Mitinterpreten, versagt sich Deutsch. Er macht der Stimme ihr Rampenlicht nicht streitig.

Und diese Stimme hatte zumindest im ersten Teil mit Britten und eingangs Gustav Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“ noch eine gewisse Distanz zu überwinden, eine Aufwärmphase zu durchlaufen. Freilich meisterte Kaufmann auch die desperaten „Gesellenlieder“ mit seiner typischen Mischung aus konzentrierter, oft radikaler Zurücknahme und bei allen Steigerungen doch wohldosiertem Pathos – ein Vorgeschmack auf seinen im wörtlichen Sinn unerhörten Plan, am 21. Juni im Musikverein sowohl Tenor- als auch Baritonpartie im „Lied von der Erde“ an einem Abend zu übernehmen.

Doch erst im zweiten Teil mit Strauss-Liedern schien er dann sein ganzes Potenzial entfalten zu können, sechs Zugaben eingeschlossen. Dabei bewies Kaufmann neben heldischem Aplomb („Ich liebe dich“) und schwärmerischer Zärtlichkeit („Freundliche Vision“, „Nachtgang“) auch Sinn für humoristische Pointen („Wozu noch, Mädchen“, „Ach weh mir unglückhaftem Mann“). Zu guter Letzt noch eine fulminante „Cäcilie“: Der Jubel schien kein Ende nehmen zu wollen.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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