Livekritik, 20.07.2015
cgohlke
 
Schubert: Die schöne Müllerin, Nationaltheater, München, 20. Juli 2015
 
Heller Schein
 
Als Jonas Kaufmanns und Helmut Deutschs Aufnahme von Franz Schuberts Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ im Jahr 2010 erschien, schrieb Jürgen Kesting in einer skeptischen Rezension der FAZ, der Sänger sei „spürbar bemüht, tenorales Auftrumpfen zu vermeiden“. Kaufmann identifziere sich mit den Müllerschen Gedichten, die er als Erlebnisdichtung verstehe, weshalb es immer wieder zu „sehnsüchtigem Seufzen“, zu „tenoralen Ausbrüchen“ oder gar (ein schlimmer Vorwurf!) zu „aufgesetzter Emphase“ komme. (FAZ vom 17. Februar 2010)

Ja, dass Jonas Kaufmann (anders als Christian Gerhaher, der Identifikation unbedingt vermeiden möchte,) sich in die Rolle des armen Müllersburschen hineindenkt und hineinfühlt, das war bei seinem Liederabend im Münchner Opernhaus unbedingt spürbar. Und vielleicht würden Puristen des Liedgesanges ihm tatsächlich eine gewissermaßen opernhafte Ausdeutung der einzelnen Lieder vorwerfen wollen. Nur: Wie Jonas Kaufmann diese Lieder vorträgt, wirkt so unmittelbar und berührend, dass sehr wohl von Emphase, nicht aber von Aufgesetztheit die Rede sein konnte. Jonas Kaufmann verstand es, die Texte Müllers differenziert auszudeuten. Sein Tenor (im Klang eher ein Bariton mit großen Möglichkeiten in der Höhe) ertönte viril und ungemein differenziert. Wie keck siegessicher er sich der Sonne und dem Frühling überlegen weiß im Preis der Müllerin („Sonne, hast du keinen hellern Schein?“, Lied Nr. 11), war ebenso einleuchtend wie die atemlose Gehetztheit im „Jäger“, den er sehr rasch, und dennoch klar artikuliert vortrug. Wirklich verzichtete Kaufmann auf jedes „tenorale Auftrumpfen“. Nur selten einmal schöpfte er seine dynamischen Möglichkeiten voll aus. In der „Ungeduld“ zum Beispiel sang er die vier Mal wiederkehrende Schlusszeile „Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben“ zunächst ganz zurückgenommen, aber mit sozusagen bebender Verhaltenheit. Die letzte Wiederholung war emphatischer zwar, aber hier wäre es Jonas Kaufmann sicher möglich gewesen, seine Stimme noch heller strahlen zu lassen. Eine ganz große Geste, und zwar eine der Verzweiflung, gab’s nur in den „Trocknen Blumen“. Kaufmann sang das Lied wie erstarrt, von großer Trauer erfüllt von Anfang an. Berückende Piani in den Höhen glückten ihm („Ihr Blümlein alle, Wovon so naß?“) geradeso wie das verzweifelte, mit voller Stimme gesungene Ende: „Der Mai wird kommen, / Der Winter ist aus.“ Helmut Deutsch am Klavier begleitete den Sänger sensibel, wobei er sich keinen Moment lang in den Vordergrund drängte oder gar leidig pädagogisch auf Feinheiten des Klavierparts hinweisen zu müssen glaubte. Viel eher schuf er diskret eine Atmosphäre für den Solisten. Es glückte ein berührender, hervorragend musizierter Liederabend. Dankbar erklatschte sich das Publikum vier Zugaben, die Jonas Kaufmann, obwohl am Vormittag von einer Vespe in die Lippe gestochen, gern und gut sang.

Besucherfazit
Großartiger Liederabend












 
 
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