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Abendzeitung, 21.07.2015 |
Robert Braunmüller |
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Schubert: Die schöne Müllerin, Nationaltheater, München, 20. Juli 2015 |
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Jonas Kaufmann singt "Die schöne Müllerin"
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Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch interpretieren Franz Schuberts
Zyklus „Die schöne Müllerin“ im Nationaltheater
Wer
Liederabende besucht, der weiß: Helmut Deutsch ist eine Institution.
Trotzdem: Zuerst muss hier einmal der ausgezeichnete Pianist gelobt werden.
Deutsch widersteht der Versuchung, Franz Schubert in einen wilden
Expressionisten zu verwandeln. Wie kein zweiter versteht er es, Anweisungen
wie „Mäßig“, „Ziemlich langsam“ oder „Ziemlich geschwind“ so klug und
akribisch umzusetzen, ohne dass auch nur im Mindesten der Verdacht aufkäme,
hier wäre etwas harmlos oder gar biedermeierlich komponiert.
Schon
die Mühle im ersten Lied klappert fast bedrohlich. Aber das bleibt eine
Andeuttung, eine innere Unruhe unterhalb der Oberfläche. Deutsch kultiviert
bei Schubert eine kunstvoll kunstlose Natürlichkeit. Und darauf will auch
Jonas Kaufmann hinaus. Er erzählt die „Schöne Müllerin“ nicht als zweite
„Winterreise“. In seiner Deutung handelt der Liederzyklus von einer
Gefährdung, die am Ende überwunden wird. Zwei ausgezeichnete
Kammermusiker
Deutsch und Kaufmann ergänzen sich ideal – wie nur noch
Gerold Huber und Christian Gerhaher. Zwei Künstler, die im besten Sinn
Kammermusik machen und aufeinander reagieren. Es ist das Gegenteil des bis
heute nicht ausgestorbenen typischen Liederabends eines Opernsängers. Dass
Kaufmann auch Wagner, Verdi und Puccini singt, daran erinnerte nichts.
Für Schuberts gute Stunde jugendfrischer Unmittelbarkeit in der „Schönen
Müllerin“ ist Kaufmanns baritonaler Tenor einfach ideal. Die dunkle
Grundierung der Stimme sorgt für Natürlichkeit, die hohe Lage für die
eingetrübte Heiterkeit und den zartbitteren Ausdruck – etwa in der „Lieben
Farbe“. Einer tiefen Männerstimme wären diese Regionen des Ausdrucks
verschlossen.
Der nasale Beigeschmack der Stimme, auf dem die
Kaufmann-Verächter herumreiten, verlor sich nach den ersten Liedern. Der
Sänger widersteht der Versuchung, aufzutrumpfen oder beim „Bächlein meiner
Liebe“ ein Piano manieriert hinzuhauchen. Es bleibt ein empfindsamer
Augenblick des Müllerburschen. Und keine Stelle, an der ein Tenor seine
Kunst virtuos darbietet.
Wirken Wespenstiche auf Tenöre gar belebend?
Kaufmanns Deutung wirkt in jedem Detail genau durchgearbeitet. Ohne
Drücker, frei von Übertreibung. Er ordnet seine Kunst dem Werk unter.
Strophenlieder tönt er mit Geschmack ab. Sein Ausdruck ist intim, aber man
spürt bei der Vision des Frühlingsanfangs in den „Trockenen Blumen“ die
außerordentliche Kraft dieses Sängers. Dass er rauere, harsche Töne
vermeidet, ist kein Verlust.
Vor Beginn erzählte Kaufmann, dass ihn
am Nachmittag eine Wespe in die Oberlippe gestochen habe. Vielleicht müsse
er von der Bühne gehen, um die Wunde mit einem Eiswürfel zu kühlen. Nichts
passierte. Offenbar wirken Insektenstiche auf Sänger belebend. Kaufmann
hatte die Energie für vier Zugaben, darunter „Luisens Antwort“ und „Die
Forelle“ – Stücke aus dem stimmungsmäßigen Umfeld der „Schönen Müllerin“.
Riesenbeifall.
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