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Der Neue Merker |
I.M.S. |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 13. August 2015
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Großes Festspielhaus: „FIDELIO" |
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Nun war er da, in voller Wucht: Der zeitgemäße Zugang! Ein solcher kann ja
manchmal ganz interessant sein, wenn er gut gemacht ist, aber das passiert
in den seltensten Fällen. Zumeist, wie auch in diesem „Fidelio", kommt eine
Verballhornung, ja eine präpotente, mutwillige Zerstörung eines großen
Werkes heraus.
Claus Guths Welt ist ein Irrenhaus, in dem wir alle
gefangen sind. Lange nach dem magischen Datum 1984 öffnet sich ein steriler,
weißer Raum mit einem bedrohlichen fahrbaren schwarzen Block und einem
darunterliegenden schwarzen Abgrund. Zugegeben: „Fidelio" ist ein „starkes
Stück", aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt. Als deutsches
Singspiel beginnt es, mit einer Kantate endet es — aber dazwischen erlebt
man packendes Musiktheater. Das ist ja das Geniale daran — man kann es
getrost Gesamtkunstwerk nennen — in einer guten Aufführung erwartet man auch
beim 97. Hören das erlösende Trompetensignal.
Beethoven wusste wohl,
dass seine Idealvorstellungen nicht real sind, aber er hat versucht, sie
vorstellbar zu machen, wie auch in der „Neunten". Der hat man noch keinen
dissonanten Schluss aufgepfropft. (Kann aber vielleicht noch kommen, wenn
das so weitergeht.)
Christian Schmidt baute die weiße Vorstufe zu
Guths abgründiger, entmenschlichter Welt. Gespenstisch wirken auch die
verdoppelten Schattenfiguren von Leonore und Pizarro, die durch geradezu
hysterische Aktionen händefuchtelnd und die Originale einengend die Bühne
unsicher machen.
Öfter schon wurden die Sprechtexte gestrichen, aber
etwa Wieland Wagner kam ebenso wenig damit zurande wie Simon Rattle/Nikolaus
Lehnhoff, obzwar es da Kommentatoren gab. Die ganze Aktion ist schon deshalb
sinnlos, weil die Gesangstexte ja ebenso Biedermeier sind wie die
Sprechtexte. Da müsste man konsequenterweise alles streichen und die Musik
konzertant spielen — unvorstellbar, aber man weiß ja nie...
Auf der
Bühne herrscht Öde und Leblosigkeit. Der befrackte Rocco ist schon durch
einen Stock als schwer beweglich gekennzeichnet, Marzelline und Jacquino
verschwinden, wenn sie nichts zu singen haben, und Leonore wird durch ihren
aggressiv mit Händen fuchtelnden Schatten zu einem Schatten ihrer selbst.
Die ärgste Attacke auf das Werk erfolgt aber gar nicht szenisch, sondern
durch Ersetzen der Sprechtexte durch elektronisches Gesäusel, was geradezu
lähmend wirkt, weil die Abstände zwischen den Musiknummern dadurch noch
länger erscheinen.
Wenn Sänger auf jegliche Körpersprache verzichten
müssen, singen sie praktisch ins Leere. Da die im Gesangstext erwähnten
Handlungen (z. B. Hilfe beim Heben des Steines) nicht durchgeführt werden,
sondern die „Totengräber" wie einbetoniert dastehen, fragt man sich schon
langsam, was mit Guth eigentlich los ist. Offenbar hat er sich nur auf
Florestan Jonas Kaufmann konzentriert. Also im 2. Akt wird es seinetwegen
spannend, sein vom völlig unhörbaren Beginn fulminant gesteigertes „Gott",
das man so wirklich noch nie gehört hat, und eine hochdramatische Arie
bestätigen seine Ausnahmestellung unter den Tenören. Dazu spielt er in
wilden Ausbrüchen all das, was die ganze Mannschaft bisher nicht durfte,
rast auf der leeren Bühne herum, stürzt, wälzt sich bis zur völligen
Erschöpfung, kurz, man kann annehmen, dass er unter Drogen gesetzt wurde.
Dabei quält ihn Pizarros „Schatten", der längst vor Pizarro im Kerker weilt,
als Erscheinung des Engels Leonore, was aber auch erschreckend ist — eine
wahrhaft satanische Quälerei.
Um endlich zu den anderen Sängern zu
kommen: Adrianne Pieczonka legt die Leonore natürlich anders an als eine
Hochdramatische, gewinnt aber dadurch an menschlicher Wärme und Kraft im
Ausdruck, und dass sie das große Haus stimmlich nicht gefüllt hätte, wird
wohl niemand behaupten wollen. Überdies sind Wiederholungsaufführungen
allemal besser als die Premieren, weil sich die Sänger auf neue Aufgaben
schon eingestellt haben. Sie ist durchaus als Gewinn in der schmalen
Besetzungsliste der Leonoren zu betrachten. Tomasz Konieczny hätte seinen
(ebenfalls mit Sonnenbrillen im dunklen Kerker ausgestatteten) Schatten
wirklich nicht gebraucht, denn Bösewichte kann er bekanntlich selbst
hervorragend spielen. Er kam durch diese lästige Verdopplung gar nicht so
zur Geltung wie sonst, sorgte natürlich mit prägnant düsterem Singen aber
doch für sein Rollenprofil.
Hans-Peter König als Rocco war jeglicher
szenischen Bedeutung enthoben, orgelte aber mit seinem schönen Bass sehr
eindrucksvoll. Olga Bezsmertna und Norbert Ernst waren als unwichtig
eingestuft und sangen brav — was blieb ihnen auch anderes übrig. Dass ein so
springlebendiger Darsteller wie Ernst nichts weiter zur Handlung betragen
durfte, als sich im Finale das Sakko auszuziehen, ist leider typisch für die
ganze Produktion. Der bewährte sonore Minister von Sebastian Holecek war
offenbar dazu angehalten, sich nicht auszukennen. (Aber da war er nicht der
Einzige.) Das Finale fand im leeren Saale statt. Die Konzertvereinigung
Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Ernst Raffelsberger, die schon
vorher beim sogenannten Gefangenenchor in weißer Anstaltskleidung über die
Bühne geschlichen war, sang mit den Kolleginnen klangvoll hinter der Bühne.
Da Florestan nach seinem Rettungsjubel tot zusammenstürzte, erfuhr die Öde
des Schlussbildes eine ungewöhnliche Bereicherung.
Nicht ganz
nachvollziehen konnte ich die Jubelstürme und ekstatischen Kritiken, die
Franz Welser-Möst erhielt. Er hat perfekt gearbeitet, alles funktionierte
bestens, nicht einmal ein Horn rutschte aus, aber ich fand seinen
Perfektionismus etwas überkandidelt. Wenn er in der „Leonore III" ein
derartiges pppp anschlug, dass nicht einmal die bestens disponierten Wiener
Philharmoniker daraus einen Klang entwickeln konnten, andererseits er aber
mit seinen zugespitzten forte-Attacken beinahe Tomasz Konieczny zugedeckt
hätte, was bei dessen tragfähiger Riesenstimme ein wahres Wunder wäre, dann
finde ich das alles ein wenig übertrieben. Aber an diesem Abend war das auch
schon egal.
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