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NZZ, 11.8.2015 |
von Christian Wildhagen |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Beethovens Ohrgeräusche |
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Licht und viel Schatten gab es bei den drei Opern-Neuinszenierungen der Salzburger Festspiele. Die Schatten sind allerdings der besondere Reiz einer arg verblasenen Deutung von Beethovens «Fidelio». |
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Mit Beethoven begann das Elend. Bis zu seinem «Fidelio» durfte eine Oper
schlicht eine Oper sein. Mit aufmüpfigen Dienern, Vogelfängern,
unglaubwürdigen Verwechslungen und helfend oder eifersüchtig eingreifenden
Göttern. Doch nach dem Hohelied der Gattenliebe, das Beethovens einziger
Beitrag zur Gattung anstimmt, war nichts mehr so unbeschwert und in höherem
Sinne spielerisch, wie es selbst noch die Höllenfahrt eines Don Giovanni in
Mozarts «dramma giocoso» sein konnte. Fortan hatte die Oper eine Botschaft,
und der Adressat war nicht die vergnügungshungrige Menge im Parkett, sondern
die Menschheit, mindestens. Als tiefsinnigste Revolutions- und Freiheitsoper
aller Zeiten ist der «Fidelio» in die Geschichte eingegangen – nur, was
fängt man heute an mit dem Pathos, dem Befreiungsjubel, der Utopie einer
besseren Welt, von der wir modernen Kleingeister doch wissen, aufs Brutalste
belehrt durch die Zeitläufte, dass sie niemals anbrechen wird? Botschaft
verstanden
Man kann den «Fidelio» einfach erzählen, geradeheraus –
wie es jüngst Matthias Hartmann in seiner Inszenierung am Opernhaus Genf
gewagt hat; auf Handlung und Musik vertrauend, ohne interpretatorische
Verbiegungen, und siehe da: Das Stück wirkt so überwältigend frisch, so
radikal und umstürzlerisch aktuell, dass es einem die Sprache verschlägt.
Man kann sich aber auch in den philosophischen Überbau des Werks verbeissen
und fast alles buchstäblich auf den Kopf stellen, wie es jetzt der Regisseur
Claus Guth bei der dritten (und letzten) Opern-Neuproduktion der
diesjährigen Salzburger Festspiele unternommen hat. Seine Lesart ist ohne
Frage klug erdacht und handwerklich tadellos umgesetzt; aber sie opfert das
Stück einem prätentiösen Konzept.
Bei Guth sind alle Figuren blosse
Träger von Ideen, keine lebendigen Charaktere. Geradezu solipsistisch
vernagelt im eigenen Ich, schleppen sie ihre hohe Bühnenmission klischeehaft
mit sich herum. Leonore kennt nichts als ihr waghalsiges
Gattenbefreiungsprojekt, für das sie zur Not – die Szene im Kerker deutet es
in einer Parallelhandlung an – sogar über Leichen ginge. Florestan, der
«Edle, der für Wahrheit stritt», ist hier der Gefangene «an sich», der
dementsprechend auch nach der erfolgreichen Rettung nicht aus seinem
Rollengefängnis hinausfindet und lieber das Zeitliche segnet, als mit der
fremd gewordenen Gattin in eine gemeinsame Zukunft zu gehen. Erzbösewicht
Pizarro, natürlich in Schwarz, natürlich mit Sonnenbrille und Handschuhen,
muss den ganzen Abend lang so angestrengt durchtrieben dreinschauen, dass er
immer wieder unter der Last seines Böse-Seins zusammenbricht – zum Glück hat
er, wie Leonore, ein Double an seiner Seite, das aalglatt die eigentliche
Intrigantenarbeit erledigt, wenn der Chef gerade wieder einmal Schwäche
zeigt. Und Vater Rocco schliesslich, der Biedermann im Rock eines
Gefängnisaufsehers, geht ganz in dem Bemühen auf, als meinungsloser
Mitläufer mit Befehlsnotstand durchzukommen; für das ungewisse Leben danach
zählt er vorsichtshalber regelmässig sein Geld: «Hat man nicht auch Gold
beineben». Botschaft verstanden?
Es gibt mittlerweile einen Kitsch
des Regietheaters, der entweder durch leichtfertiges Herbeizitieren von
immer gleichen Deutungsmustern oder aus Über-Ambition entsteht. In beide
Regie-Fallen ist der sonst so klug reflektierende Claus Guth hier mehrfach
getappt. Freilich bemerkt man die seltsam verblasene Simplizität dieser
Inszenierung erst auf den zweiten Blick, denn das Bühnenbild von Christian
Schmidt und die in Salzburg gespielte Werkfassung durchkreuzen die
Erwartungen vordergründig. Anstelle eines Gefängnishofes hat Schmidt eines
seiner wohlbekannten gutbürgerlichen Wohnzimmer ins Grosse Festspielhaus
gewuchtet, mit überhöhten Kassetten an den klinisch weissen Wänden und
seelenloser Kühlschrank-Atmosphäre im Inneren. Für das Regieteam stellt
dieser Raum einen «Salon des Unbewussten» dar, und damit jeder die
freudianische Absicht merkt, senkt sich alsbald ein beunruhigendes «Etwas»,
ein rechteckiger schwarzer Kasten, vom Schnürboden herab. Dieses Etwas, das
bereitwillig jede noch so diffuse Angstprojektion auffängt, kreist fortan
dämonisch auf der Drehbühne. Willkommen auf der kollektiven Festspiel-Couch.
Die Musik muss es richten
Immerhin kann man hinter dem «Etwas»
Personen aus dem Nichts auftauchen lassen und Figuren gegen ihr Double
austauschen, wovon die Produktion virtuos Gebrauch macht; ein ganzer Chor –
die vorbildlich textverständlichen Herren des Wiener Staatsopernchores –
verschwindet dort elegant auf Nimmerwiedersehen. Doch auch dies wäre,
ungeachtet der gut gearbeiteten Personenregie, nicht viel mehr als
theatralische Bedeutungshuberei, zauberte das Beleuchtungskonzept von Olaf
Freese nicht immer wieder expressionistische Schlagschatten an die Wände,
die das allzu Eindeutige zumindest optisch brechen.
Eine weitere
Brechung entsteht durch den Verzicht auf alle gesprochenen Dialoge. Sie sind
hier ausnahmslos durch Sound-Einblendungen von Torsten Ottersberg ersetzt,
die im Pariser Ircam-Institut produziert wurden. Das Rauschen, ferne Hämmern
und Tinnitus-Piepen separiert die Musikstücke, isoliert sie im quasi
abstrakten Klang-Raum und macht einen dramatischen Ablauf im herkömmlichen
Sinne unmöglich. Doch wiederum verspricht die scheinbar radikale Idee
vordergründig mehr, als sie in der Bühnenpraxis hält: Man mag zwar trefflich
darüber spekulieren, ob mit dem Sausen und Brausen wohl auf Beethovens
Ohrgeräusche und seine fortschreitende Ertaubung während des
Kompositionsprozesses angespielt werde; wieder aber zitiert die Inszenierung
das Motiv – in diesem Fall: den autobiografischen Subtext – nur herbei, ohne
es sinnfällig auszugestalten.
Wo die Figuren offenkundig taub sind
füreinander und für den Freiheitsruf von «der Menschheit Stimme», muss es
die Musik richten, wieder einmal. Freilich bleibt auch hier der Eindruck
durchzogen. Jonas Kaufmann, immerhin, lässt sich als Florestan voll auf
Guths solipsistisches Konzept für seine Rolle ein. Er schreckt bei jeder
Begegnung mit einem menschlichen Gegenüber zurück wie ein
Schwerstverwundeter; auch die Berührungen der siegreichen Gattin Leonore
lässt er nur kurzzeitig und mit wachsendem Widerwillen zu. Kaufmann legt
viel von diesem neurotischen Profil in die vokale Ausformung seiner
schwierigen Partie, ohne dass der Gesang – und dies ist ein kleines Wunder –
selbst brüchig wird oder neurotisch tönt. Kaufmann bleibt vielmehr
unangestrengt und souverän; selbst eine Extremstelle wie der Schluss seiner
Kerker-Arie «. . . führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich» klingt
angemessen ekstatisch, dabei freilich eine Spur verschattet, so, als glaube
der Gefangene selbst nicht an seine Rettung.
Diese Souveränität und
Vielschichtigkeit erreicht das Rollenporträt von Adrianne Pieczonkas Leonore
kaum. Zudem kämpft die ins dramatische Fach drängende Sopranistin mit der
Höhe, sie singt regelmässig zu tief. Ihrer Arie fehlt es an der visionären
Kraft, die alle Zweifel am Gelingen des hohen Rettungswerks der Gattenliebe
hinwegfegen müsste. Tomasz Konieczny besitzt als Pizarro weder die
bedrohliche Kraft noch die notwendige Textklarheit. Das gescheiterte Paar
Marzelline-Jaquino, von der Regie facettenreicher gezeichnet als üblich, ist
mit Olga Bezsmertna und Norbert Ernst luxuriös besetzt. Die Besetzung des
Rocco mit Hans-Peter König, also einem gestandenen Wagner-Sänger anstelle
eines leichteren Spielbasses, folgt hingegen einer langen, aber immer schon
stilfremden Tradition. Glitzern und Funkeln
Franz Welser-Möst
bemüht sich mit den technisch nicht in Höchstform spielenden Wiener
Philharmonikern, die durch die Sound-Einspielungen buchstäblich
«verrauschte» Spannungskurve der Musik stets aufs Neue zu entwickeln.
Wirkliche Eigendynamik entfalten Beethovens revolutionäre Töne freilich nur
in der nach dem Vorbild Gustav Mahlers vor dem Schlussbild interpolierten
dritten «Leonoren»-Ouvertüre, deren fulminante Wiedergabe zu Recht mit
Ovationen bedacht wird – und in jenem magischen Moment im Finale, dem
Befreiungs-Ensemble «O Gott, welch ein Augenblick». Hier beschwört die Regie
unter dem tausendfachen Glitzern und Funkeln eines übergrossen Kronleuchters
für bange Minuten ein «Als-ob» – nämlich das Wahrwerden aller Utopien von
Freiheit, Menschlichkeit und Liebe. Die Musik aber gibt diesem Augenblick
Ewigkeit.
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