KlassikInfo
Von Christian Gohlke
 
Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
Wir sind Gefangene
 
Claus Guth abstrahiert Beethovens „Fidelio“ in Salzburg über Gebühr. Was bleibt, sind ewig-gültige Banalitäten.
 
Das Wesen der Poesie, meinte der alte Goethe einmal, zeige sich darin, dass ein Künstler das „Besondere lebendig fasst“ und dadurch „zugleich das Allgemeine“ mit ausdrückt. Das Spezifische, der Einzelfall, das Besondere weist dann über sich hinaus und wird zu etwas Exemplarischem. Claus Guth geht bei seiner Salzburger Inszenierung von Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“ den genau umgekehrten Weg. Ihn interessiert das Besondere dieser Geschichte, ihre spezifische räumliche und zeitliche Verortung überhaupt nicht. Er versucht vielmehr, zu ihrem Kern vorzudringen und das Überzeitlich-Gültige zu zeigen, das sich in ihr verbirgt. Darum ist es nur konsequent, die Dialoge, die ja eine konkrete Geschichte erzählen, zu streichen und die Musiknummern durch wabernde, dräuende, grummelnde Klangcollagen miteinander zu verbinden. Und darum ist es auch folgerichtig, dass der Bühnenbildner Christian Schmidt die Ortsangaben des Librettos allesamt ignoriert. Kein Gefängnishof, kein Kerker und kein Paradeplatz des Schlosses wird gezeigt, sondern nur ein weiter Raum, der von hohen stuckverzierten weißen Wänden gefasst und mit Parkettboden ausgelegt ist. In seiner Mitte ragt ein schwarzer Kubus in die Höhe, hinter dem die Figuren der Oper auf- oder abtreten können. Manchmal steht er auch wie ein unüberwindliches Hinderniss zwischen ihnen. Im zweiten Akt wird dieser dunkle Kubus angehoben und gibt eine tiefe schwarze Grube frei, in der Pizarro seinen Widersacher Florestan verschwinden lassen will. Das ist alles geschickt und handwerklich solide gearbeitet.

Trotzdem überzeugt Claus Guths Inszenierung nicht. Warum? Weil das, was bei ihm von der Geschichte um Florestan und Leonore übrig bleibt, so unbestimmt und allgemein ist, dass es sich der Plattitüde gefährlich nähert. Ja, stimmt: Man muss nicht im Kerker sitzen, um ein Gefangener zu sein. Wir alle sind Gefangene. Wenn nicht im Gefängnis wie Florestan, so doch gefangen in fixen Ideen wie Leonore (Adrianne Pieczonka, der die lyrischen Passagen ihrer Partie sehr gut liegen, die dramatischen Elemente weniger gut); gefangen in einem System wie Pizarro (Tomas Konieczny, der mit bewundernswerter Kraft singt, in den Tiefen aber forciert wirkt); gefangen in unerfüllbaren Wünschen wie Marzelline und Jaquino (Olga Bezsmertna und Norbert Ernst); oder gefangen in einem Lebensentwurf wie Rocco, der glaubt, mit Geld könne er Glück und Sicherheit kaufen (Hans-Peter König, der mit sonorem, flexiblem Bass seine Rolle souverän meistert). Ja, wir sind alle irgendwie gefangen. Das ist so richtig wie banal und hat mit Beethovens Oper nur noch einen vag-assoziativen Zusammenhang.

Viel interessanter inszeniert Claus Guth das Finale. Es folgt auf die hier eingefügte dritte Leonoren-Ouvertüre. Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker, die nach einem etwas trägen Beginn im Lauf des Abends zu einer immer überzeugenderen Form finden, flüssig in den Tempi und sprechend in der Artikulation, gestalten diese Ouvertüre mit starken Akzenten als ein Spiel widerstreitender Kräfte. Und endlich führt auch Claus Guth keine Gemeinplätze mehr vor, sondern findet konkrete, sicherlich streitbare Bilder für das, was in der Oper passiert. Wenn vom unsichtbar bleibenden Chor die Gattenliebe gepriesen wird, hängt ein funkelnder Lüster vom Bühnenhimmel herab und verbreitet festliche Stimmung. Der schwarze Kubus ist verschwunden, die Grube von einem roten Teppich überdeckt. Aber Florestan ist von seiner Haft so gezeichnet, schreckhaft und verstört, dass es Leonore nicht gelingt, sich ihm zu nähern. Jonas Kaufmann stellt das schauspielerisch überzeugend und eindringlich dar. Vor allem aber singt er seine Partie mit einer prachtvollen, kernigen, warm und frei strömenden, dunkel grundierten Tenorstimme. Gerettet wird er in dieser Inszenierung nicht. Florestan stirbt am Ende. Und Leonores Double, das ihr gestisch immer wieder gleichsam ihre höhere Mission in Erinnerung zu bringen scheint, versucht mit einer immer hektischer werdenden Taubstummensprache den fast ein wenig schrillen Jubel des Chores einem skeptischen und für solche Botschaft womöglich tauben Publikum zu vermitteln. Ein eindrückliches, starkes Bild an einem Opernabend, der an solchen Momenten arm war und darum über weite Strecken blutleer wirkte, weil er sich allzu sehr in die Abstraktion flüchtete und gar nicht erst versuchte, „das Besondere“ dieser Geschichte „lebendig zu erfassen“.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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