Wiener Zeitung, 05.08.2015
Von Christoph Irrgeher
 
Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
Florestan will in die Grube
 
Der neue Salzburger "Fidelio": musikalisch fruchtbar, szenisch eine Möglichkeit.
 
Jonas Kaufmann! Salzburg verzehrt sich nach ihm. Längst sind alle "Fidelio"-Aufführungen ausverkauft; die "Suche Karte"-Zettel wachelten am Dienstag vergebens vor der Premiere. Kaufmaniacs wissen: Im nächsten Sommer wird ihr Idol hier schmerzlich fehlen. Umso sehnlicher will man den bärtigen Beau heuer sehen. Fast eine Tücke, dass er "nur" den Florestan singt. Der taucht nämlich erst in der zweiten Opernhälfte auf.

Die Regie von Claus Guth verschafft dem Publikum bis dahin aber eine kleine Wegzehrung: Sie lässt Kaufmanns Kopf schon im ersten Akt als Projektion aufblitzen. Eine Konzession an die Fans? Freilich nicht. Guth verfolgt ein düsteres Konzept, und es lässt Beethovens "Freiheitsoper" grundlegend anders aussehen.

Hauch von "Matrix"
Heftigster Eingriff: Die gesprochenen Dialoge sind gestrichen. Guth hält sie für "banal", und man kann ihm das nicht verübeln. Die - oft umgeschriebenen - Worte sind wie quietschende Scharniere zwischen den Gesangsnummern. Wobei die Plumpheit nicht nur auf das Konto der Librettisten geht: Beethoven hat seine einzige Oper eher mit Ideen als mit Menschen bevölkert. Treue Gattin rettet Freiheitskämpfer aus dem Kerker eines Despoten: Die Gerechtigkeit, die Liebe, das Menschenrecht - sie sollen leben! Die Bühnenfiguren tun es aber nur bedingt.

Guth versucht, dem abzuhelfen. Zwar bleibt er bei der Geschichte von Leonores Rettungsmission als verkleideter Gefängnisgehilfe Fidelio, fokussiert aber auf eine innere Handlung: Hier geht es um jene Seelenregungen, die hinter dem Plot ablaufen - vor allem in Leonore. Guth spaltet sie in zwei Figuren auf. Wir sehen da einerseits eine Frau, die nicht nur in Männerkleidern, sondern vor allem im Korsett selbstauferlegter Pflichtensteckt. Wenn diese Fürsorgerin in Schwierigkeiten gerät, erscheint ihr der Ehemann wie eine Bild gewordene Durchhalteparole.

Die zweite Dame ist eine Art Gefühls-Leonore: Sie appelliert in Gebärdensprache an ihr Alter Ego, scheint angesichts ihres "Geschreis" aber nicht wirklich Erfolg zu haben: Leonore I wirkt verstockt, ja in emotionalen Belangen so eingesperrt wie ihr Mann. Ein halbes (oder doppeltes) Geschöpf ist auch der Despot: So sehr Pizarro I seinen Gefangenen töten will, so sehr zittert Pizarro II vor seiner Umwelt. Am Ende marschiert sogar eine ganze Pizarro-Armee ein. Der Schurke kann sich offenbar ebenso vervielfältigen wie der üble Agent Smith aus der "Matrix"-Filmreihe - und sieht ihm auch zum Verwechseln ähnlich.

Apropos sehen: Üppige Bilder gibt’s nicht. Eher karge Gefängniskost auf der Breitwandbühne des Großen Festspielhauses. Guths Lieblingsausstatter Christian Schmidt hat einen kalten Riesensalon gezimmert; im Zentrum ein erratischer Block, der an den Science-Fiction-Monolithen aus "2001: Odyssee im Weltraum" erinnert, freilich auch an einen Grabstein. Im Umfeld einer Parade einsamer Gestalten und ihrer schwarzer Schatten könnte man allerdings auch an ein Lied von Simon & Garfunkel denken: "I am a rock, I am an island." Interaktionen sind hier mehr als heikel. Wenn Leonore endlich ihren Florestan aufgespürt hat, flieht der vor ihr wie ein Krabbeltier; sie hält ihm eine Wasserflasche hin - und sich selbst die Nase zu. Mit der Wiedervereinigung wird es nichts: Zu traumatisiert ist der Häftling nach Folter und Verhör, scheint sich mehr nach der Grube zu sehnen als einer Frau, die er nicht mehr als die eigene erkennt. Zu den finalen Jubelhymnen (klangmächtig: die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) bricht Florestan endgültig zusammen. Der Buhsturm für die Regie - kurz, aber kräftig - war ab da vorhersehbar.

Nötig war er freilich nicht, immerhin ist Guths Konzept im Kern schlüssig. Vorhaltungen lassen sich der Regie dennoch machen, sie sind jedoch eher handwerklicher Natur. Einerseits: Keine Dialoge sind auch keine Lösung. So feingliedrig die Personenregie (vor allem in den nun wortlosen Musikpausen) geraten ist, wirklich selbsterklärend ist sie nicht. Zudem wirkt das Bühnenbild - bei aller konzeptbedingten Kälte - beliebig. Und die Elektro-Sounds, die zwischen den Arien fallweise wispern, wabern und bratzeln, bleiben ein Fremdkörper in Beethovens Klangwelt.

Sportive Philharmoniker
Die ist dafür bei Franz Welser-Möst in besten Händen. Er lässt die Wiener Philharmoniker mit Elan, fast sportiv durch die Partitur sausen. Nuancen kommen dabei nicht unter die Räder: eine Pracht, wie sich etwa die Holzbläser in die Streicher-Akkorde mischen. Dass es nach der Dritten Leonoren-Ouvertüre minutenlangen Applaus setzt, ist nur verständlich: Allein dafür, wie Welser-Möst den letzten verminderten Septakkord metallisch bersten lässt, gebührt ihm ein Orden.

Nicht weniger Applaus für Kaufmann: Sein Florestan ist optisch wie akustisch von Leidensdruck geprägt, seine wuchtige Stimme ein Botschafter hoher, mitunter fast bedenklicher Anspannung. Adrianne Pieczonka (Leonore) meistert ihre Spitzennoten, tönt mitunter nur eine Spur zu dramatisch, Tomasz Konieczny trumpft als fulminant knurriger Pizarro auf. Achtbar die Kollegen: Hans-Peter König gibt einen soliden Rocco, Olga Bezsmertna (Marzelline) und Norbert Ernst (Jaquino) sind ein apartes Doch-Nicht-Paar, und Sebastian Holecek verkörpert den Fernando überzeugend. Insgesamt: keine Sternstunde, doch ein festspielwürdiger Abend.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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