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DrehPunktKultur, 05/08/15 |
Von Heidemarie Klabacher |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Schattenfrauen. Dunkelmänner. |
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Der Gefangene wird befreit, die Gattin gepriesen, der Böse vernichtet, der
Politiker für hohle Phrasen gefeiert – und am Ende stehen lauter Verlierer
auf der Bühne. Beethovens „Fidelio“ in der Regie von Claus Guth unter der
Leitung von Franz Welser-Möst hatte am Dienstag (4.8.) Premiere im Großen
Festspielhaus. Überwältigend und zwiespältig. „Fidelio“ ist über die
Bühne gegangen. Florestan hat wahrscheinlich grad’ Therapiestunde mit einem
Experten für Dissoziationen und posttraumatische Belastungsstörungen. Falls
er nicht, was wahrscheinlicher ist, mit dem letzten Akkord tot
zusammengebrochen ist: „Ihm wird im Grabe besser sein.“
Drei Viertel
der gut dreistündigen Produktion im Großen Festspielhaus in der Regie von
Claus Guth schien man einem abstrakten Kammerspiel in einem
überdimensionierten Ideenraum zu folgen, in dem die Figuren von einer
höheren Macht wie mit dem Jetonschieber aufeinander zu oder voneinander weg
bewegt werden. Wenn auch einzelne kleine Gesten etwa der Marzelline
gegenüber dem verschmähten Jaquino sehr subtil und berührend sind: Es
agieren nicht Menschen aus Fleisch und Blut, sondern Platzhalter abstrakter
Ideen. Eine Geschichte wird nicht erzählt, weder von noch mit diesen
geisterhaften Protagonisten.
Im Nicht-Erzählen der Geschichte hat
Claus Guth zu recht radikalen Mitteln gegriffen. Zunächst einmal hat er die
gesprochenen Dialoge gestrichen. Grundsätzlich eine hervorragende Idee. Es
sind ohnehin meist Augenblicke größter Peinlichkeit, wenn die Mitglieder der
gern international bunt zusammen gewürfelten Ensembles versuchen, die
Dialoge der „Zauberflöte“, der „Entführung“ oder eben auch des „Fidelio“ zu
sprechen. Was die Rollenträger sagen sollen, weiß man so halbwegs und das
Wichtige wird ohnehin gesungen.
Im neuen Salzburger „Fidelio“ treten
an die Stelle buchstabierter Dialoge elektronische Klänge: Das brummt und
pocht, tickt und atmet. Nichts Irritierendes, nichts Schmerzhaftes, auch
nicht für Nicht-Hörer zeitgenössischer Musik. Torsten Ottersberg zeichnet
für das durchaus packende Sounddesign.
Natürlich öffnet solche
Abstraktion Gedankenräume. Und wer verstünde sich besser als Claus Guth auf
das Freischaufeln der Bühne von allem Krempel, auf das Öffnen des Raumes –
im wörtlichen wie im übertragenen Sinne - und auf das Freilegen
faszinierender Tiefenschichten in den Seelen der Figuren. Aber was tun mit
Sängerinnen und Sängern, die normalerweise Text abzuliefern hätten, jetzt
aber warten müssen, bis das Gebrumm wieder aufhört? Da entsteht nicht nur
Frei- sondern auch viel Leeraum.
Daher wird dieses Vakuum nicht nur
akustisch, sondern auch optisch gleich wieder voll geräumt: Fidelio/Leonore
wird von einem Schatten begleitet, von der gehörlosen Schauspielerin Nadia
Kichler, die in Gebärdensprache – vermutlich – die Gesangstexte wiedergibt.
Das expressive Gestikulieren lenkt von der Musik ab, ist irritierend und in
keine Richtung erhellend oder auch nur spannend. (Der Schatten trägt Rock,
im Gegensatz zu seiner Figur in Kurzmantel und Hose. Muss illustriert
werden, dass Fidelio/Leonore eine Frau ist?)
Don Pizarro hat auch
einen Schatten, den Tänzer Paul Lorenger, der in langsamen großen Bewegungen
eine bizarre Performance zwischen Gevatter Tod und Meuchelmörder hinlegt.
Unheimlich und tänzerisch sehr gut gemacht, auch wenn sich die
dramaturgische Notwendigkeit für diese weitere Verdoppelung ebnsowenig
erschließen mag. Der Sänger Tomasz Konieczny als „Man in Black“, wie
natrülich auch Adrianne Pieczonka als Fidelio/Leonore, würde die Rolle
darstellerisch auch ganz allein füllen.
Dazu hat jede Figur ohnehin
noch ihren eigenen echten Schatten: In der Beleuchtung von Olaf Freese
ergeben sich wie in einem überdimensionierten Schattentheater grandiose
Tableaus aus lauter Über-Ichs. Viele weiter hochästhetische Bilder in
raffinierten Licht-Schleifen: Dass es bedeutungsvoll und abstrakt zugeht,
bekommt man auf jeder nur denkbaren Bedeutungsebene eingebläut. Und auf
allzu naheliegende Spekulationen mit den Schatten in Platons Höhlengleichnis
mag man sich echt nicht auch noch einlassen.
Der Raum „an sich“ steht
ebenfalls in der merkwürdigen Spannung zwischen ausgeleert und vollgeräumt:
Hohe Wände mit einer imposanten Täfelung aus weißen Kassetten. Parkettboden.
Feuchtes Kerkerduster? Gemütliches Kerkermeisterhaus? Von wegen. Einen
großbürgerlichen, ja geradezu einen feudale Salon hat Ausstatter Christian
Schmidt geschaffen (Claus Guths „Figaro“ in der desolaten Villa fällt einem
ständig ein. Da hatte der Cherubino auch einen „Schatten“. Und das Kleid der
Marzelline könnte der Susanna gehört haben.)
Im Leeraum dieses
Kerker-Salons kreist ein riesiger schwarzer Block unermüdlich um sich selbst
– und wird gegen Ende angehoben, um im feinen Parkettboden das zu
schaufelnde Grab anzudeuten: „Komm, hilf doch, diesen Stein mir heben. Hab
Acht! Hab Acht. Er hat Gewicht“, singt Rocco.
Damit ist die
Aufführung dort angekommen, wo der artifizielle Flirt mit der Abstraktion
langsam beginnt, ins Fleisch zu schneiden: Im Kerker.
Fidelio/Leonore
findet in dem Gefangenen tatsächlich ihren Gatten, einen durch Dunkel- und
Einzelhaft schwer traumatisierten Menschen. Er ist einfach nicht fähig,
Kellerasseln und Spinnweben locker abzustreifen und in Jubel auszubrechen.
Und damit sind wir zugleich auch dort angekommen, wo die
musikalisch-sängerisch preiswürdige, aber seltsam blutleere Aufführung mit
einem Schlag zu leben beginnt: Bei Jonas Kaufmann.
Mit seinem
Auftritt wird das intellektuelle Kammerspiel zur Tragödie. Ein Mensch wird
befreit – egal aus welchem Kerker – und ist außerstande, einfach dort
weiterzumachen, wo das Leben ihm abgeschnitten wurde. Sängerisch ist Jonas
Kaufmann in Höchstform, strahlend und geschmeidig sein Forte, tragfähig, für
Augenblicke oft geradezu liedhaft deklamierend sein Piano.
Statt auf
dem Paradeplatz des Schlosses spielt das Finale im Festsaal: Der schwarze
Block ist verschwunden, ein nicht weniger bedrohlicher Luster dräut jetzt
über den Köpfen. Für Augenblicke scheint alles gut zu werden im
zaubrisch-feenhaften Glitzern der Kristalle – wundersam untermalt von den
Wiener Philharmonikern unter Franz Welser Möst.
Die letzte ähnlich
verzaubernde Passage an diesem Abend war das Vorspiel zum Quartett-Kanon
„Mir ist so wunderbar“. Dazwischen prunkten die Wiener Philharmoniker unter
Franz Welser-Möst bei der Premiere mit hehrstem Fest- und samtigstem
Bläserklang. Doch schienen die Ereignisse auf der Bühne und im
Orchestergraben parallel nebeneinander zu laufen. In den packenden Momenten
mit Jonas Kaufmanns Florestan ergab die künstlerische Addition plötzlich
mehr als die Summe der beiden Teile.
Jonas Kaufmanns Florestan steht
in Adrianne Pieczonka eine kraftvoll deklamierende Leonore mit strahlenden
Höhen und elegant entwickelten Linien zur Seite. Hans-Peter König ist der
glaubwürdig statuarische, stimmlich souveräne Rocco. Olga Bezsmertna als
Marzelline sorgt in den Ensembles für den silbrigen Sopranglanz. Ihr zur
Seite – bzw. ihr hinterher – lässt Norbert Ernst als verlässlich treuer
Jaquino seine Einwürfe souverän und ruhig strömen. Tomasz Konieczny, ein
gefährlicher, weil psychisch auch ein wenig angeschlagener Don Pizarro,
überzeugt mit kraftvollem Sound. Sebastian Holecek gibt den Don Fernando als
Politiker: untadelig. Mustergültige Gefangene sind die Herren der
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor in der Einstudierung von Ernst
Raffelsberger. Mit Strahlkraft werden sie im Finale unterstützt von den
Damen, die erst beim Schlussapplaus aus den Seitenprospekten treten. Jubel
und Buhs. Überwältigend und zwiespältig bis zum Schluss. Nochmals anschauen?
Das wäre bei dieser Produktion richtig und wichtig.
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