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Der Opernfreund, 14.12.14 |
Eva Pleus |
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Beethoven: Fidelio, Teatro alla Scala, Milano, 10. Dezember 2014 |
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FIDELIO, 10.12.2014
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Der Jubel des Publikums (schon bei der Premiere am 7.12., die ich im TV
verfolgt hatte) für diese Produktion macht mich einigermaßen ratlos, denn
sowohl szenisch, als auch musikalisch handelte es sich um alles andere als
eine Sternstunde.
Was die szenische Umsetzung anbelangt, war von der
höchst erfolgreichen und mit vielen Auszeichnungen versehenen Regisseurin
Deborah Warner wohl einiges zu erwarten gewesen. Obwohl das Bühnenbild von
Chloe Obolensky als gelungen bezeichnet werden darf (eine vergammelte
ehemalige Industriehalle für den 1. Akt, überzeugende Felsengemäuer im 2.,
die sich für das letzte Bild geschickt öffneten), kam szenisch wenig
Spannung auf. Die durchaus plausibel in die Gegenwart versetzte, weil -
leider - zeitlose Handlung fand nicht den rechten „Kick“, wie man auf
Neudeutsch wohl sagt. Dabei gab es durchaus gute Details, wie etwa, dass
Rocco des öfteren zur Flasche greift, um sein grausiges Amt ertragen zu
können, und ihm die besorgte Marzelline den Schnaps wegschüttet. Auch die
realistische Darstellung von der Bewegung schweren Gesteins bei „Nur hurtig
fort, nur frisch gegraben“ war gelungen und rührend, wie sich Leonore am
Schluss um die tödlich verletzte Marzelline bemüht. Die Bewegungen des Chors
hatte Warner aber überhaupt nicht im Griff. Das fing bei Pizarros Auftritt
an, wenn die ihn begleitenden Soldaten zur martialischen Marschmusik
Beethovens Turnübungen machten und Korbball spielten, statt im Stechschritt
zu marschieren, setzte sich über die Anordnung des Gefangenenchors, nach
dessen erstem Teil die Choristen irgendwie hinauslatschten, bis zum völlig
verunglückten Schlussbild fort, als „Volk“ und Arbeiter mit Sturzhelmen
ziellos durcheinander liefen und der Minister die wundervolle Musik seiner
Friedensbotschaft mit den Händen in den Hosentaschen singen musste.
Was die einzelnen Darsteller anbelangt, müsste man über ihr Spiel und ihren
Gesang zwei getrennte Besprechungen schreiben, denn an ihrer szenischen
Umsetzung gab es praktisch nichts zu bemängeln, angefangen von der sehr
natürlichen Leonore von einfacher Fraulichkeit und selbstverständlicher
Menschlichkeit von Anja Kampe, die in ihrem Overall (die gelungenen Kostüme
waren gleichfalls von Obolessky) durchaus für einen jungen Mann gehalten
werden konnte. Falk Struckmann war ein bis ins Mark machtbesessener,
bösartiger Pizarro, Kwangchul Youn ein von seiner Aufgabe zerriebener Rocco
(der nur trotz tadelloser deutscher Aussprache in den Dialogen eine gewise
Nuancierung vermissen ließ). Mojca Erdmann und Florian Hoffmann waren mit
entspannter Körpersprache durchaus heutige junge Leute.
Gehe ich nun
aber die Leistungen dieser Künstler im vokalen Bereich durch, kann ich nicht
allzu viel Gutes berichten: Kampes lyrische Stimme ist mit der Leonore
heillos überfordert, denn nicht nur muss sie die Höhen in der großen Arie
schreien, sondern forciert sich nur mit Müh und Not durch die „Namenlose
Freude“ (die Regisseurin lässt das selige Paar übrigens bei „Mein Weib an
meiner Brust“ usw. in einer Distanz von mehreren Metern singen). Dazu kommt
ein hohles tieferes Register, sodass eigentlich nur eine recht angenehme
Mittellage übrig bleibt. Struckmann wechselt zwischen Sprechgesang und
unkontrolliertem Gberüll, Erdmann piepst mit steifem Stimmchen die
Marzelline (auch so ein Fall, wo man sich fragt, wie die Dame nicht nur zu
einer Scala-Eröffnung, sondern auch zum Auftritt bei den Salzburger
Festspielen kommt - allein das recht hübsche Aussehen sollte doch auch heute
noch nicht genügen). Youn hingegen lässt einen warm timbrierten, vollkommen
bruchlos geführten Bass hören (dafür hapert’s ein wenig im Ausdruck – siehe
oben). Bleiben der auch stimmlich erfreulich bewegliche Hoffmann als Jaquino
und der erstklassige Chorsolist Oreste Cosimo als Erster Gefangener
(verlässlich Devis Longo als Zweiter Gefangener). Nun wird der geneigte
Leser wohl ungeduldig nach Florestan fragen. Da muss ich sagen, dass mir
Klaus Florian Vogt in der TV-Übertragung einen szenisch wie vokal eher
durchschnittlichen Eindruck gemacht hat. In dieser ersten Reprise gab es
allerdings einen zurecht besonders gefeierten Interpreten der Rolle, denn
Vogt hatte wegen Indisposition abgesagt, und kein Geringerer als Jonas
Kaufmann sprang ein! Da hatte man dann alles, was zuvor auf der einen oder
der anderen Seite so schmerzlich fehlte – die intensive schauspielerische
Leistung eines, „der kaum noch lebt“ zusammen mit einer großartigen
gesanglichen Darbietung, beginnend mit einem fast gehauchten „Gott“, gefolgt
von einer machtvollen, ekstatischen Steigerung in der Arie und einem absolut
mitreißenden Duett im Kerker und abschließendem Jubel.
Eine
Enttäuschung war auch das Dirigat von Daniel Barenboim, der doch sonst im
deutschen Repertoire zuhause ist. Als Ouverture hatte er die „Leonore Nr. 2“
gewählt, die er, wie er sagte, als die „richtigste“ empfindet. Ob das Bonmot
Furtwänglers, wenn man die Nr. 3 spiele, erübrige es sich, die Oper zu
geben, stimmt, kann ich nicht beurteilen. Tatsache ist, dass die Nr. 2 unter
der Last der vollendeten Form, die die Nr. 3 besitzt, leidet. Vielleicht war
es auch Barenboims extrem langsames Dirigat, das das so Hören mühsam machte.
Seine Leitung zeigte den ganzen Abend lang eine schwere Hand, die - zusammen
mit den anderen erwähnten Einwänden - nicht die Spannung aufkommen ließ, die
„Fidelio“ immer hervorrufen müsste.
Noch eine Überlegung zum Schluss:
Man wird sich erinnern, dass Piotr Beczala im Vorjahr nach der
„Traviata“-Premiere an der Scala Buhs zu hören bekam. Angesichts der vokalen
und gesangstechnischen Qualitäten des Sängers eine Frechheit. Hätten die
hier besprochenen Künstler in einer italienischen Oper vergleichbare
stimmliche Leistungen geboten, wäre der Teufel los gewesen. Provinzielles
italienisches Publikum! Andererseits hat „Fidelio“ es erst im Jahre 1927 an
die Scala geschafft, und ohne Toscanini hätte es vielleicht noch länger
gedauert – im Verständnis des Publikums scheint sich seit damals nicht viel
geändert zu haben.
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