Südkurier, 17.11.2014
von Georg Rudiger
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014
 
Ein Hauch von Skandal lag in der Luft
 
Puccinis „Manon Lescaut“ in der Bayerischen Staatsoper in München. Auch ohne Anna Netrebko ein Erfolg
 
Manche Opernproduktionen sorgen schon vor ihrer Premiere für Wirbel. Als Anna Netrebko vor zwei Wochen ihre Manon Lescaut in München wegen künstlerischer Differenzen mit Regisseur Hans Neuenfels absagte und damit auch auf das vom Opernpublikum lang ersehnte Debüt mit Jonas Kaufmann verzichtete, war die Aufregung groß. Ein Hauch von Skandal lag in der Luft.

Nach einer musikalisch hervorragenden, szenisch eher enttäuschenden Premiere, bei der neben Jonas Kaufmann auch die für Netrebko eingesprungene lettische Sopranistin Kristine Opolais gefeiert wurde und das Regieteam ein paar Buhs abkriegte, herrschte eitel Sonnenschein in der gerade zum Opernhaus des Jahres gekürten Bayerischen Staatsoper.

Ein abstrakter, von Neonröhren begrenzter schwarzer Raum ist der Schauplatz der Oper (Bühne: Stefan Mayer), der im Laufe des Abends nur wenig variiert wird. Die leidenschaftliche, auch verhängnisvolle Liebe zwischen Renato Des Grieux und Manon Lescaut entsteht in bewusstem Gegensatz zu den kalten, aseptischen Räumen.

Bei der Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung hatte Neuenfels aus seiner Laboranordnung noch neue Erkenntnisse gewonnen. Auch der in Rattenkostüme gesteckte Chor war viel mehr als nur eine Verfremdung, sondern zeigte die Degeneration der Menschen in verschiedenen Stufen. In München tragen die Choristen silberne Ganzkörperanzüge, die mit ihrem dicken Hinterteil und den roten Kopfbedeckungen an Hühner erinnern (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer). Im zweiten Akt werden die Fatsuits mit violetten, bischofsähnlichen Gewändern getauscht. Leider gewinnt Neuenfels daraus keinen Mehrwert.

Die konventionellen Auf- und Abgänge entfalten eher unfreiwillige Komik. Auch andere optische Akzente wie der als Neandertaler im Frack auftretende Tanzmeister (Ulrich Reß) oder die Bogenschützen im grauen Trainingsanzug bleiben ohne Wirkung. Reibungsflächen, die stumpf werden. Diese „Manon Lescaut“ bleibt szenisch auf halber Strecke stecken. Neuenfels' Inszenierung punktet aber mit Musikalität und klarer Personenführung, insbesondere bei den Solisten.

Jonas Kaufmann ist als Des Grieux ein geradezu manisch Liebender, dessen vokale Reserven an diesem Abend unerschöpflich sind. Seine baritonale Farbe, seine enorme Strahlkraft, sein auch in der dramatischen Höhe immer noch runder Stimmklang geben den Emotionen Richtung und Intensität. Kristine Opolais wird als Manon nicht vom naiven Mädchen zur reifen Frau, sondern ist von Beginn mit ihrem vollen, nur in der Mittellage etwas bedeckten Sopran schon ganz da. Am Ende gewinnt Opolais' packende Darstellung naturalistische Züge. Die tiefen Töne in der hochdramatischen Abschiedsarie „Sola, perduta, abbandonata“ geraten scharf und unkultiviert. Markus Eiche brilliert als sonor tönender Lescaut mit Rockermatte, Roland Bracht ist ein eher zurückhaltender Geronte, der im zweiten Akt Manon die Füße lecken darf.

Von der brillanten Ouvertüre bis zu den mächtigen Schlussakkorden zeigt sich das Bayerische Staatsorchester an diesem Abend in bester Form. Dirigent Alain Altinoglu entwickelt eine ungemein bewegliche Lesart von Puccini, die zwar jede Chance zur Dramatisierung nutzt, aber bis auf wenige Ausnahmen sofort wieder auf einen sängerfreundlichen, sehr farbigen Ton zurückfährt. Dem Dirigenten gelingen die magischen Momente, die der Regie fehlen, wenn er etwa die Begleitakkorde zur ersten Begegnung zwischen Manon und Des Grieux so genau ausbalanciert, dass sie an Orgelklänge erinnern. Die dramatisch aufgeheizten Aktschlüsse 1 bis 3 sind perfekt getimt.

„Viva Puccini“ ruft ein dreister Besucher in die heilige Stille nach dem Schlussakkord. Das ist der eigentliche Skandal des Abends.














 
 
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