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Der Neue Merker
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Klaus Billand |
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Wagner: Parsifal, Metropolitan Opera, 2.März 2013 |
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WIEN/ Cineplexx-Kino: “Die Met im Kino” -PARSIFAL
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Seit dem Erlebnis von Deborah Voigt als Brünnhilde (und nicht nur ihr) in
einer Met Opera HD live Aufführung des Lepage-„Ring“ in der Saison 2011/12
und dem Live-Erlebnis in der Met im Mai letzten Jahres mit ihrer „Walküre“-
und „Götterdämmerung“-Brünnhilde (Merker 6/2012) bin ich äußerst skeptisch
geworden, ob eine Beurteilung sängerischer Leistungen anhand einer
Kino-Aufführung sinnvoll, ja überhaupt zulässig ist. Zu sehr klaffte damals
vokaler Glanz im Kino und das allzu häufige Gegenteil auf der Bühne der Met
auseinander. Zu wahrscheinlich war also das Drehen an den berühmten Knöpfen
des Synthesizers bzw. Mischpults, und das ist nicht nur eine Verdrehung der
Realität (im wahrsten Sinne des Wortes), sondern stets auch eine
Benachteiligung all jener SängerInnen im Wettbewerb um gute Besetzungen, die
es in das Medium Met Opera HD live nicht schaffen.
Eines kann man
aber am heutigen Abend nach dem Erlebnis des „Parsifal“ in der Regie des
Franzosen Francois Girard sicher sagen: Alle Sänger agierten auf einem sehr
hohen Niveau und vermochten auch mit bester darstellerischer Leistung zu
überzeugen. Allen voran natürlich Jonas Kaufmann in der Titelrolle, der
damit wohl einen seiner bisher medienwirksamsten Auftritte absolviert hat.
Der Hype um ihn, und er wird gerade durch diese Met Opera HD live
Programmatik ins Unermessliche gesteigert, nimmt nun nahezu Netrebkosche
Dimensionen an, und das ist im Sinne der Kunst eigentlich nicht gut. Es
können auch eine ganze Menge andere KünstlerInnen sehr gut Wagner und andere
Komponisten singen und darstellen. Aber sie werden somit der großen Masse
möglicher Operninteressenten – und die sitzen gerade in den Kinos, was sehr
gut ist für die Erhaltung dieser Kunstform – nicht bekannt. Wenn man das,
was gestern Abend von Kaufmann zu hören war, für bare Münze nimmt, müssten
interessierte Agenten ihn umgehend zum Vorsingen für den Siegfried einladen.
Man weiß aber, dass das nicht geht, und auch der Siegmund, wie die Erfahrung
an der Met in der Saison 2011/12 zeigte, scheint für ihn schon grenzwertig
zu sein. Unbestritten ist wohl, dass Kaufmann erstklassige Qualitäten als
Parsifal und Lohengrin hat, sicher die Wagner-Partien, bei denen er in
seinem Fach singt. Auch bei Katarina Dalayman, seit langem schon mit der
Brünnhilde überfordert, kann zumindest ich mir nicht vorstellen, dass sie
die tückischen Höhen ab der Mitte des 2. Aufzugs so gut gesungen hat, wie es
hier in Met Opera HD live klang. Sicher liegt die Kundry viel tiefer als die
Brünnhilde, aber letztendlich wird bei einer Sopran-Tessitura auch bei der
Kundry dramatische Höhe gefordert – hier klang es doch verdächtig rund und
harmonisch. René Pape war ein ganz großartiger Gurnemanz, mit viel Wärme und
Geschmeidigkeit seines wohlklingenden Basses und einnehmendem
darstellerischem Ausdruck. Man weiß aus wirklicher live-Erfahrung, dass er
mittlerweile ein sehr guter Bass auch für große Wagner-Rollen ist.
Die eigentlichen Neuigkeiten des Abends schienen mir nach dem klanglichen
und darstellerischen Eindruck aber Peter Mattei mit seinem Rollendebut als
Amfortas und Evgeny Nikitin als Klingsor zu sein. Mattei gab den bei Girard
sehr menschlich und intensiv leidenden Amfortas mit einem höchst
kultivierten, klangvollen und prägnanten Bassbariton, ein Ohrenschmaus!
Evgeny Nikitin, der als Holländer aus hinreichend bekannten Gründen in
Bayreuth 2012 nicht an Land gehen konnte, machte einmal mehr deutlich –
selbst wenn man mögliche Mischpulteffekte eliminiert – dass er eine ganz
große Hoffnung im Wagnerfach ist und wohl nicht nur ein sehr guter Holländer
sein kann. Mir war er im Gergiev-„Ring“ in St. Petersburg schon 2003 als
kantabler und stimmstarker Gunther und Fasolt aufgefallen. Neben den
stimmlichen Mitteln brachte Nikitin auch alle nur denkbare Bösartigkeit und
viel Zynismus in die Rolle des Klingsor ein – sein Dialog mit Kundry wurde
zu einem der Höhepunkte des Abends. Da scheint auch der Wotan nicht mehr
allzu weit zu liegen…
Daniele Gatti am Pult fand mit dem wie meist
bei Wagner kompetent aufspielenden Met-Orchester nach einer fast endlosen
Zerdehnung des 1. Aufzugs im Mittelaufzug zu einem hier ohnehin angesagten
flüssigeren Tempo und größerer Dynamik. Im 3. Aufzug verfiel er jedoch
phasenweise wieder in die Lethargie des Beginns. Schon bei seinem
„Parsifal“-Debut in Bayreuth 2008 war das zu erleben. An der Met passte es
allerdings besser zur Inszenierung.
Dieser Met-Abend im Wiener
Cineplexx hat einmal mehr klar gemacht, dass sich mit dem Medium „Oper im
Kino“ ein ganz eigener, cineastischer Opern-Erlebnis-Stil etabliert, der
eine nahezu perfekte Stimm- und Tonqualität herstellen kann und durch die
Kameraführung, die bei diesem „Parsifal“ schlicht exzellent war, auch ganz
neue emotionale Einblicke eröffnet. Das ist insbesondere für jenes Publikum
von Bedeutung, welches durch das Medium Kino vielleicht erst an die Oper
herangeführt wird. Damit hat diese Form der Vermittlung hohen Wert. Nichts
geht aber über das Live-Erlebnis eines in realiter erlebten Opernabends in
einem Opernhaus bzw. open air, mit all den kleinen oder großen – auch
menschlichen – Unwägbarkeiten, die aber das Leben und Erleben so spannend
machen…
Es ist jedoch bedauerlich und für mich sogar irritierend,
dass im Laufe des gesamten Abends von der Met-Regie und dem uninspiriert
moderierenden Eric Owens (u.a. Alberich an der Met und in San Francisco und
zuletzt Telramund an der DOB) nicht einmal erwähnt wurde, dass diese
Neuproduktion bereits im März 2012 in Lyon gelaufen ist (meine Rezension war
damals im Merker und Online-Merker) und eine Koproduktion nicht nur mit dem
von Serge Dorny äußerst kompetent und einfallsreich geführten Haus im Midi
sondern auch mit der Canadian Opera Company Toronto ist. Die intelligente
Inszenierung von Girard in den Bühnenbildern von Michael Levine, den
Kostümen von Thibault Vancraenenbroeck und mit der Beleuchtung von David
Finn sowie den Videos von Peter Flaherty setzt auf die Entwicklung Parsifals
vom jungen Toren zum reifen Mann in einem dramaturgisch wie optisch subtil
herausgearbeiteten Spannungsfeld zwischen Mann und Frau. Das Ganze findet in
einer Ästhetik unserer Zeit statt, sodass das Publikum unmittelbare
Assoziationen zu eigenen Erlebnisbereichen entwickeln kann. Freilich ist
dazu etwas Phantasie nötig, aber diese sollte ein Regisseur unserer Tage dem
Publikum bei der Konfrontation mit einem Meisterwerk der Opernliteratur auch
abverlangen (können). Dabei ist zentraler Punkt ein rötlich leuchtender und
bisweilen flüssig brodelnder Spalt zwischen zwei Erdschollen, die das
Bühnenbild stellen, im 1. Aufzug in der Horizontalen und im Klingsor-Aufzug
schlüssig korrespondierend in der Vertikalen. Was dieser rötliche Spalt
bedeutet, kann je nach Ausmaß der Phantasie auch sehr erotisch interpretiert
werden… Jedenfalls läge dies nahe, denn bis fast zum Finale ist dieser
kleine Graben die Trennlinie zwischen Männern und Frauen – nur Parsifal wagt
zum Ende des 1. Aufzugs den Übergang und beginnt damit seine Odyssee des
Mitleids. Nur so und also durch ihn kann diese optische und mentale Kluft
zwischen den Geschlechtern im Finale überwunden werden – Frauen und Männer
kommen zusammen. Kundry hebt zur Unterstreichung dieser Vereinigung gar den
Gral und stirbt, wie Wagner es wollte, erlöst in den Armen von Gurnemanz.
Dieser „Parsifal“ ist eine großartige und unter die Haut gehende
Produktion, angesichts deren Qualität der Met-Commercial in der Pause zum 2.
Aufzug für die demnächst folgende „Francesca da Rimini“ wie ein ästhetischer
Schock wirkte. Die Kostüme, die da zu sehen waren, erinnerten an die alte,
urkonservative Met-Ästhetik der 60er und 70er Jahre und sollten heute
eigentlich nur noch bei rheinischen Karnevalsprinzen und -prinzessinnen und
mit entsprechenden Themen auftretenden Büttenrednern zu sehen sein…
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