Abendzeitung, 23.12.2013
Volker Boser
 
Verdi: La forza del destino, München, 22. Dezember 2013
 
In welchem Milieu treibt der sich rum?
 
Regie-Buhs, ein lustloser Dirigent, gute Sänger: Verdis „La forza del destino“ von Martin Kušej im Nationaltheater, dirgiert von Asher Fisch mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros
 
Lustlos stochert Leonora in ihrem Essen. Schon zur Ouvertüre präsentiert Martin Kušej seine ersten Regie-Einfälle. Im Grunde könnte Verdis „La forza del destino“ eine Allerweltsgeschichte erzählen von einer jungen Frau, die einen Hallodri liebt, womöglich mit Migrationshintergrund und nicht immer mit gutem Benehmen ausgestattet.

Opernschicksale haben aber ihre eigene Logik: Der Vater und dieser Alvaro geraten aneinander. Es löst sich ein Schuss. Der Vater stirbt. Der Liebhaber flieht, der Bruder schwört Rache.

Es ist einige Zeit her, da hat sich Martin Kušej reichlich genervt über das Musiktheater unserer Tage geäußert: „Die Institution Oper treibt mich an die Grenzen meiner Toleranz". Wie auch immer er das gemeint haben mag. Den Rezepten, mit denen er glaubt, Verdis „Forza" auf die Sprünge helfen zu müssen, durfte man mit Argwohn begegnen. Das Premierenpublikum im Nationaltheater hielt nicht viel davon. Kušej wurde ausgebuht.

Dabei versuchte die Inszenierung nur, eine zeitgemäße Erklärung für die traurige Love-Story zu finden. Leonoras Familie, bürgerlich, langweilig, voller christlicher Ideale, und der Außenseiter Alvaro, im Original-Libretto als „Mulatte" beschimpft – da passt nichts zusammen. Und das galt es aufzuzeigen: Für die Chorszenen, in denen die Zigeunerin Preziosilla ihre großen Auftritte hatte, ließ sich der für die Bühne zuständige Martin Zehetgruber von den Bildern des zerstörten World Trade Center und den schändlichen Aktionen der US-Soldaten in Abu Ghraib inspirieren. In diesem muslimischen Milieu soll sich Alvaro herum treiben?

Verdis „Forza" als einen Konflikt zwischen den Religionen hoch zu stilisieren, ist weit her geholt. Immerhin: Zum Schluss-Terzett kämpften sich Leonora, ihr Bruder Don Carlo und Alvaro durch einen Berg umgestürzter weißer Kreuze an die Bühnenrampe. Nach nahezu vier Stunden wurde endlich klar, was Martin Kušej gemeint haben könnte: Dass der Verfall der Werte in unserer Zeit eben auch etwas mit dem Versagen der Religionen zu tun hat.

Dem Verdi-Fan dürfte das alles egal sein. „La forza del destino" enthält schließlich eine Menge herrlicher Musik, in der die Emotionen der handelnden Personen manchmal holzschnittartig, zumeist aber mit grandioser Sensibilität charakterisiert werden.

Der Regie-Einfall, den zu Beginn getöteten Vater Leonoras in Gestalt des Padre Guardiano weiter leben zu lassen, hatte vor allem den Vorzug, dass der ausgezeichnete Bass Vitalij Kowaljow ein paar Takte mehr singen durfte. Als Preziosilla mühte sich Nadia Krasteva mit derb drastischer Dramatik.

Renato Girolamis prächtiger Fra Melitone gehörte zu Glanzlichtern der Aufführung, was man vom Dirigenten Asher Fisch leider nicht sagen kann. Er kontrollierte die Abläufe, ohne sie zu gestalten und stellte damit die Qualitäten der Musik immer wieder unfreiwillig in Frage. Da war mehr drin, auch weil das das Staatsorchester bis auf einige kleine Unsicherheiten eine Menge Engagement zeigte.

Für die Hauptpartien konnte die Staatsoper aus dem Vollen schöpfen. Jonas Kaufmann ging als Alvaro an die Grenzen seiner Möglichkeiten, dies aber mit bewunderungswürdiger Intensität. Ludovic Tézier nutzte als rachelüsterner Don Carlo die Chance zu kraftvoll protzenden Bariton-Attacken.

Für die Zwischentöne war Anja Harteros zuständig. Ob Furcht, Liebe, Leidenschaft oder Verzweiflung: Sie schmückte jede Emotion der Leonora mit wunderbaren Ausdrucksnuancen und wurde deshalb auch zu Recht vom frenetisch jubelnden Premierenpublikum zur Siegerin des Abends gekürt.












 
 
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