Die Welt und Abendblatt, 23.12.2013
Manuel Brug
 
Verdi: La forza del destino, München, 22. Dezember 2013
 
Jonas Kaufmann ist der Til Schweiger der Tenöre
 
Der Sänger-Star ist in Giuseppe Verdis Oper "Macht des Schicksals" von grandios bühnenfüllender Prolligkeit. Aber auch Anja Harteros klingt als Blaustrumpf-Sopran in München ganz großartig.
 
Der Triumph des Singens über den Rest des Opernabends. So kann es gehen, selten genug, vor allem beim im Jahre seines 200. Geburtstags besonders leidgeprüften Giuseppe Verdi – und das dann ausgerechnet noch in einer seiner am unmöglichsten zu besetzenden Opern, nämlich der "Macht des Schicksals".

Die, uraufgeführt 1862 in St. Petersburg, aber fast immer nur in der überarbeiteten, sieben Jahre jüngeren Mailänder Fassung zu sehen, ist sowieso ein nur schwer zu schluckender Brocken. Dauernd wird da aus Versehen erschossen, Krieg geführt, auf Rache gesonnen, mit Messern gekämpft, auf Stand und Familienehre geachtet, der sich jedes Individuum bis zum Tod unterzuordnen hat.

In einer dramaturgischen Irrfahrt ohnegleichen geht es über spanische wie italienische Schauplätze und durch Handlungsstränge, Protagonisten verschwinden und tauchen Akte später wieder auf, die Figuren führen keinerlei Entwicklungen vor. Hier lodern und wabern nur emotionale Extremzustände aus Liebe, Angst, Hass und Mordlust, gewürzt mit katholischer Verzückung und ewigen, ekstatisch gen Himmel gewendeten Anrufen an Gott und die Jungfrau Maria in Verklärungsgloriole, die solche Erdentrübheit nur noch schwärzer erscheinen lassen.

Realistisch durch den dramaturgischen Irrsinn

Martin Kusej, eher ein schnaufend grobmotorischer Handwerker, als ein feinfühliger Stilist, will es aber trotzdem realistisch – mit gewissen Brüchen, versteht sich. Martin Zehetgruber hat ihm eine Art kahlen Kanzlerbungalow im strengen Fifties-Betonlook an die Rampe der Bayerischen Staatsopernbühne gestellt, wo die dreiköpfige Restfamilie, umsorgt von Dienerschaft, Beichtvater und mafioser Security sich während der ausladenden Ouvertüre zum Mahl versammelt hat.

Asher Fisch, nicht unbedingt allererste Wahl, dirigiert sie akzentsicher und effektbewusst, ein wenig grell überschraubt, mit deutlichem Paukeneinsatz, so wie auch den Rest des vierstündigen Abends mit seinen immer wieder himmlischen, einzig mit vokalen Mitteln die Zeit zum Stillstehen bringenden Längen.

Draußen, vor den wehenden Vorhängen, das ist klar, lauert das Verhängnis. Tochter Leonora spielt nämlich heimlich mit einem Schmuddelkind: Der Blaustrumpf hat sich in einen Underdog verliebt, mit dem sie gleich nach dem Dessert auf und davon will. Dieses Inka-Halbblut namens Alvaro ist Jonas Kaufmann.

Jonas Kaufmann und die Vokuhilamatte

Mit der bühnenfüllenden Prolligkeit und dem rattigen Charme eines tenorsingenden Til Schweigers erobert er sich sofort die Szene, sehnig, schlank, mit unmöglicher Vokuhilazopfmatte, in Leder, die Stimme wie ein Gummiband ausfahrend und zurücknehmend, niemals von Reserven schöpfend oder an Grenzen geratend.

Er ist gegenwärtig zu Recht so einzigartig, weil es keinen Tenor gibt, der so vollkommen spielt, singt und gestaltet, der für jede Rolle die Farben seiner mal dunklen, mall honigfarbenen, mal baritonal durchmischen, auch bewusst dringlich-hässlich klingenden Stimme anders zu mischen versteht, der sie vollkommen als Instrument der Wahrheitsfindung einer szenischen Notwendigkeit anzupassen vermag. Und das mit einer stupenden Rollenintelligenz, die aber immer von einem natürlichen Instinkt für das Richtige und Notwendige des jeweiligen Charakters und der damit verbundenen Vokalentäußerungen geleitet ist.

Wo der hinkommt, wird Oper Musiktheater. Und es war eine wunderbare Tenorreise für ihn – allein in diesem Wagner/Verdi-Jahr, vom Parsifal und Siegmund zu den italienischen Rollendebüts als Troubadour Manrico und jetzt Alvaro in München, als Carlo in Wien, London und Salzburg sowie als Puccinis Dick Johnson in Wien.

Die Partie des Alvaro liegt Kaufmann am besten

Der Alvaro aber liegt ihm fast am Besten, aus der französischen Tradition mit viel Mittellage und bewusst platzierten Spitzentönen kommend. Allein wie Kaufmann in diesem ersten Duett mit Leonora seine Phrasen mit fein abgetrepptem Crescendo auffahren lässt, wie er seine große Arie im dritten Akt aus der Ruhe und gefährlichen Langsamkeit zu modellieren vermag, das ist nicht nur Technik, sondern in erster Linie sich unterordnende, einbringende Gestaltungskunst. Die ihn deshalb als Star überall so leuchten lässt.

Ihm zur Seite, ihn vollkommen ergänzend im totalen Kontrast – Anja Harteros. Mädchenhaft durchscheinend, lyrisch verschattet in der Tiefe, mit einer hellen, silbrigen, absolut sicheren Höhe, ist sie seine sentimentalische Ergänzung, immer Heilige, auch in der Fleischeslust, ätherisch, fast tänzerisch, stets wie aus einer anderen, elfischen Opernwelt und doch sofort sich mit der robusteren irdischeren von Kaufmann verbindend. So wie vor einigen Jahren diese magische Chemie zwischen Anna Netrebko und Rolando Villazón, kaum zu erklärten, nur zu genießen, aufzusaugen war, so geht es einem jetzt mit diesem Sängerpaar.

Sie sind so unterschiedlich und ergänzen sich doch so perfekt, finden sich im gemeinsame Atem, im Rhythmus und der Phrasierung, im wundervoll sich mischenden und doch prickelnd differenzierten Zusammenklang der Stimmen. Schöner, besser, grandioser kann Oper nie gewesen sein. Wobei die legato-elegante, graziöse, sich nie verausgabende, kontrollierte Harteros natürlich in ihren drei großen Arien dieser so elend episodisch angelegten Rolle ganz besonders wie eine Himmelskönigen durchs Nationaltheater strahlt und flutet.

Kaufmann und Harteros überstrahlen alles

Dagegen verblassen alle anderen, obwohl die Bayerische Staatsoper eine selten gute Besetzung aufgeboten hat: mit dem sonor warmstimmigen Vitalij Kowaljow als schnell totem, schon vorher gefühlskaltem Vater. Der dann als plötzlich warmherziger Pater Guardiano wieder aufersteht, welcher Leonora den Weg zum religiösen Frieden weißt, den sie doch nie finden wird.

Mit dem gemütsprallen Renato Girolami als greinendem, schimpfendem Pförtnerbruder Melitone, der es ein wenig menscheln lässt. Mit der erdig-brustigen Nadia Krasteva als kriegshetzender, auch nur als Opfer agierender Preziosilla. Und mit dem zurückhaltenden, edelbaritonalen, ohne Fanatiker-Beimischung auskommenden Ludovic Tézier als in Kusejs Regieweltsicht vom Knaben zum ausgewachsenen Bariton mutierenden, in seiner einfältigen Bösartigkeit schon von Verdi undankbar angelegtem Bruder Don Carlo. Seine hier ungestrichenen dreieinhalb Duette mit Alvaro sind Musterbeispiele vokal lebendiger Männerzweisamkeit, auch wenn sie den dramatischen Fluss aufhalten.

Aber der ist durch Martin Kusejs etwas hilflose, vorhersehbare Nine/Eleven- und Abu-Ghraib-Vignetten als brave Unrechts- und Terroranklage sowieso schon kräftig ins öde Stocken gekommen. Mit der Reduzierung auf eine durch Doppelrollen und Perspektivwechsel des Bühnenbilds irreal erscheinenden, in ihrer nüchternen Gegenwärtigkeit auch der Kostüme (von Heidi Hackl) wenig bringenden Kohärenz der Geschichte, die keine hat, wird diese Oper nur fad.

Die Musik siegt über ihre Inszenierung

Der Tisch des Anfangs ist auch am Ende nur ein Tisch, auf dem gegessen, geblutet, operiert, duelliert und gestorben wurde. Als Fanal taugt das wenig. Auch die düsteren Sektierer unter dem Holzkreuz hinter der Raumteiler-Faltwand können nicht den einschüchternd spanischen Katholizismuspomp vergessen machen, der hier überhöht und in eine bösartige Märchenwelt überführt werden müsste.

Doch die Kraft dieser Musik (nicht zu vergessen der grellen bis vergeistigten, von Sören Eckhoff fein studierten Chöre), und die weltentrückende Kunst dieses gegenwärtig kaum überbietbaren Sängerensembles machen das schnell vergessen.












 
 
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