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Opernglas, November 2013 |
T. Rauchenwald |
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Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013 |
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La Fanciulla del West
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Im
Gegensatz zu vielen anderen Bühnen setzt die Wiener Staatsoper rund um den
200. Geburtstag des Komponisten nicht auf den Jahresregenten Giuseppe Verdi,
sondern überrascht zu Beginn der neuen Saison mit einer Neuproduktion von
Giacomo Puccinis Western-Oper, die, mit triumphalem Erfolg 1910 an der New
Yorker Metropolitan Opera uraufgeführt, ihren Weg in die Herzen des
Publikums nie so recht finden mochte, was in erster Linie am Sujet liegen
mag. Marco Arturo Marelli hat mit diesem Werk nun im Haus am Ring seine
erste Verismo-Oper inszeniert — und wird seinem Ruf als psychologisch
feinsinniger Regisseur einmal mehr gerecht. Das Stück um die herzensgute
Schankwirtin Minnie, die, auf der Suche nach Liebe, zwischen zwei Männern
steht — dem brutalen Sheriff Jack Rance und dem gesuchten Räuber und Outlaw
Dick Johnson alias Ramerrez —, und das ursprünglich um 185o zur Zeit des
Goldrausches in Kalifornien spielt, wird in die Gegenwart verlegt und spielt
in einem Containerdorf, eingezäunt von Stacheldrähten, wo Minenarbeiter auf
der Suche nach Glück und einer neuen Heimat ihr karges, lieb- und freudloses
Dasein fristen. Vergegenwärtigt man sich tagesaktuelle Geschehnisse, vor
allem die tragischen Ereignisse vor der Insel Lampedusa im Mittelmeer,
bekommt die Inszenierung Marellis, der auch das passende Bühnenbild
entworfen und für eine überaus stimmige Lichtregie gesorgt hat, eine
traurige, beklemmend zeitlose Aktualität. Nur einmal greift auch der
Psychologe Marelli in den Schmalztopf, wenn Minnie und Johnson am Ende mit
einem Heißluftballon in Regenbogenfarben gen Himmel schweben. Ansonsten
überzeugt sein Ansatz durch und durch, so man erst einmal bereit ist, über
die teilweise peinlichen und geschmacklosen Kostüme hinwegzusehen, mit denen
die ansonsten so stilsichere Dagmar Niefind vor allem die Protagonisten
bisweilen lächerlich aussehen lässt.
Orkanartigen Applaus gab es vom
Wiener Publikum, das „seine" Sänger, wenn sie auf derart hohem Niveau
agieren, umso mehr liebt, vor allem für die Gestaltung der Titelpartie in
Person der schwedischen Hochdramatischen Nina Stemme. Darstellerisch
glaubwürdig — diese Frau ist keine Heilige, sondern bodenständig, aber auch
sehr sensibel — waren auch stimmlich alle Facetten von leise, innig lyrisch
bis exaltiert hochdramatisch zu hören. Die Sängerin vermag all dies auf so
beeindruckende Weise umzusetzen, dass sie zu keiner Zeit an stimmliche
Grenzen stößt.
Ebenso begeisternd der zweite Star des Abends: Jonas
Kaufmann. Sein Dick Johnson ist nicht nur der Gesetzlose, sondern auch ein
Mann, der unzufrieden mit seinem bisherigen Leben, an der Seite der Frau,
der er früher einmal flüchtig begegnet ist, zu einem neuen Leben bereit ist.
Kaufmann gibt diesen Charakter mit all seinem hinreißenden tenoralen
Schmelz. Nachdem er im ersten Akt vor allem mit feinen Schattierungen und
Zwischentönen in der sanften Annäherung an Minnie begeisterte, blühte das
kostbare, baritonal gefärbte Timbre im zweiten Akt so richtig auf; im
dritten Akt glühte sein Tenor förmlich: ein wahrhaft durchdrungenes
Rollendebüt. Gespannt durfte man auch sein, wie Tomasz Konieczny, eher bei
Wagner und im deutschen Fach beheimatet, im italienischen Fach abschneiden
wird. Die Italianita, über die Stemme und Kaufmann verfügen, fehlt ihm ein
wenig, dafür bestach er mit seinem im Ausdruck höchst charaktervollen,
prächtigen Bariton, der die Substanz sowohl für die tiefen als auch die
dramatischen, hohen Passagen aufweist. Darstellerisch überzeugte dieser Jack
Rance — hier nicht so sehr als brutaler Sheriff gezeichnet, sondern auch als
ein Heimatloser, der aber, um Minnie zu bekommen, beinahe alles machen
würde. Auch die kleinen Partien waren überwiegend gut besetzt, allesamt aus
dem Ensemble der Wiener Staatsoper: Norbert Ernst als Schankbursche Nick und
Boaz Daniel als Sonora stachen hervor, der junge Bass Jongmin Park als Billy
Jackrabbit ließ aufhorchen.
Mit dem in allen Instrumentengruppen
bestens aufgestellten Staatsopernorchester setzte Wiens Generalmusikdirektor
Franz Welser-Möst auf einen analytischen, klar strukturierten Zugang und
nahm damit der Partitur jegliche Ahnung von Rührseligkeit oder Kitsch, ohne
dabei die dem Werk innewohnende Leidenschaft außer Acht zu lassen. Der
Dirigent drehte in den Passagen, in denen große Dramatik gefordert war, auch
schon mal kräftig auf und erinnerte damit, nicht unberechtigt, an effektvoll
knallige Filmmusik, der das Stück ja durchaus nahesteht. Dieser
Interpretationsansatz stand im Einklang mit der Dramaturgie der Inszenierung
und ist bestimmt auch mit ein Grund, warum die Produktion bei der Premiere
vom Publikum so enthusiastisch gefeiert wurde.
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