Wiener Zeitung, 7.10.2013
Von Christoph Irrgeher
 
Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013
 
Ins Schwarze getroffen
 
 
Jubel für Giacomo Puccinis "La fanciulla del West" an der Wiener Staatsoper
 
Schrecksekunde bei der Probearbeit im Jahre 1910: Emmy Destinn, Titelheldin der mit Spannung erwarteten Opern-Neuheit von Giacomo Puccini, reitet librettogemäß auf einem Pferd an, um den Bühnenpartner vor dem Tod zu bewahren. Doch da stockt den Kollegen der Atem: Das Tier scheut - und "La fanciulla del West", das Mädchen aus dem Goldenen Westen, droht, auf der Bühne der New Yorker Met aufzuschlagen. Am Ende der Flugkurve aber streckt ein Kollege rettend die Arme aus. Ein Glücksfall auch für ihn: Dinh Gilly wurde zum Lebensgefährten der Diva, die die Premiere dann unversehrt neben Enrico Caruso sang.

100 Jahre später sind an der Wiener Staatsoper erneut Stars für die "Fanciulla" aufgeboten - Jonas Kaufmann und Nina Stemme -, die damaligen Gefahren aber sind gebannt. Wobei der heutige Naturalismus-Verzicht nicht nur das Verletzungsrisiko senkt. Er dient auch einem Werk, das oft scheel als "Westernoper" beäugt wurde: Unter der soliden Regie von Marco Arturo Marelli und einem Spitzendirigat von Franz Welser-Möst tritt der wahre Trumpf der "Fanciulla" zutage - die Musik.

Schmelztiegel der Effekte
Und die ist eigentlich das Alleinstellungsmerkmal dieser Oper - wesentlich mehr als ihre Story über Goldgräber. Puccinis Faible für Exotik ist schließlich nicht nur durch dieses Werk verbürgt. Und auch der Plot der "Fanciulla" knüpft an alte Erfolgsformeln an, siehe "Tosca": Wieder lechzt ein böser Bariton nach der guten Sopranistin an des Tenors Seite.

Aber nun mit überraschend neuer Musik. Puccini, vielgescholten als Kitschier, hat die Klangsprache der beginnenden Moderne inhaliert und mit seiner Theaterpranke vor den Karren des großen Gefühls gespannt: Da rauschen also Ganzton-Akkorde nach der Manier von Claude Debussy, schärfen große Septen die Mollakkorde, winden sich verwegene Akkordverläufe. Wobei: Ganz ohne Puccini-Süße kommt auch dieser Schmelztiegel der Effekte nicht aus. Die Liebesromanze zwischen der Henne im Goldgräber-Korb - einer Wirtin namens Minnie - und dem reuigen Tunichtgut Dick Johnson wollte dann doch in zarte Klangwatte gepackt sein.

Am Premierenabend ist es vielleicht die größte Leistung von Welser-Möst, auch diesen Momenten Delikatesse einzuschreiben. Da säuselt das Orchester, als spielte es fein Ziseliertes aus der Feder Franz Schrekers. Und trotz solcher Detailsichtungen hält Welser-Möst das dramaturgische Korsett straff: ein ideales Plädoyer für die Repertoiretauglichkeit eines Werks, das trotz seines Arienmangels nicht fadisiert.

Apropos Arie: Eine solche hat Jonas Kaufmann als reuiger Schuft im Schlussakt dann doch - und er beseelt sie mit aller zur Gebote stehenden, süffigen Italianità. Gut möglich zwar, dass sich Kaufmann, jüngst noch im Krankenbett, dafür während der ersten beiden Akte ein wenig geschont hat - aber dies nur vokal: In zünftiges Leder gepackt, zeitigte der energische Beau wohl auch bei jenen Zuseherinnen der Fernseh-Übertragung Wirkung, die den Ton abgedreht hatten.

Im No-Man’s-Land
Nina Stemme wiederum, im Laufe der Jahre zur Wagnerheldin avanciert, ist als blutjunge Minnie nur bedingt glaubhaft, singt dieses Manko aber wuchtig weg. Und der böse Bariton? Tomasz Konieczny (Sheriff Jack Rance) entwickelt im Alleingang die ungute Präsenz einer ganzen Prügelpolizeistation - wenngleich seiner Stimmkraft Grenzen gesetzt sind. Liebevoll einstudiert die vielen kleinen Rollen, ebenso die Szenen des Chors.

Sie alle hat Marco Arturo Marelli routiniert auf drei Ebenen bewegt, auch das dreisame Liebesdrama zu prägnanten Bildern geformt. Die knallharte Sozialkritik, die das Programmheft suggeriert, bleibt er aber schuldig: Dass der erste Akt in einer heutigen Containersiedlung spielt, macht eine heile Bergwelt bald vergessen. Im Verbund mit Kostümen (Dagmar Niefind), die dann doch ein wenig mit dem Wilden Westen liebäugeln, wähnt man sich in einem ästhetischen No-Man’s-Land. Oder anders gesagt: In einer Produktion, die es jedem recht machen will. Aber auch nicht wirklich stört: viel Applaus fürs gesamte Team.

















 
 
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