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Kleine Zeitung, 06.10.2013 |
ERNST NAREDI-RAINER |
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Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013 |
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Abreise mit dem Ballon
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Nina Stemme und Jonas Kaufmann feiern an der Wiener Staatsoper einen
verdienten Triumph. |
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Antizyklisch verweigert die Wiener Staatsoper Giuseppe Verdi zum 200.
Geburtstag eine Neuproduktion und spielt lieber Giacomo Puccinis selten
aufgeführtes "Mädchen aus dem Goldenen Westen". Sie kann dafür zwei gute
Gründe ins Treffen führen. Einerseits liebt ihr Generalmusikdirektor Franz
Welser-Möst "La fanciulla del West", weil sie den interessantesten
Orchesterpart aller Puccini-Opern aufweist, andererseits stand mit Nina
Stemme und Jonas Kaufmann ein konkurrenzloses Liebespaar zur Verfügung.
Welser-Möst gibt sich alle Mühe darzustellen, dass sich Puccini hier
unter dem Einfluss von Claude Debussy und Richard Strauss mit herber Färbung
und kühner Harmonik bis zur Verschleierung der Tonalität vorwagt. Den
Gegensatz zwischen zarten Lyrismen und explosiven Ballungen ebenso
auskostend wie das üppige Kolorit, betont er jedoch die tragende Rolle des
zur Puccini-Rekordbesetzung angewachsenen Orchesters mit vierfachen
Holzbläsern und massivem Blech so sehr, dass dieses häufig einen furiosen
symphonischen Alleingang unternimmt, zu dem das Herrenensemble allenfalls
Farben beisteuern kann.
Während Tomasz Konieczny als Sheriff Jack
Rance mit kehligem Bariton nicht an seine Erfolge im deutschen Fach
anschließen kann, triumphieren die beiden Protagonisten mühelos über die
Orchesterfluten.
Falschspielerin
Als
Schenkwirtin Minnie, vom vokalen Anspruch her Puccinis Brünnhilde, der Maria
Callas stets aus dem Weg gegangen war, verströmt Nina Stemme pures Gold. Sie
vereint Verletzlichkeit, makelloses Legato und hochdramatische Attacken fern
jeglicher Schärfe zu einem facettenreichen Porträt der Bibelleserin und
Falschspielerin mit dem Herz auf dem rechten Fleck.
Und Jonas
Kaufmann feiert in seiner ersten Staatsopernpremiere mit prachtvollem,
männlichem Bronze-Timbre, glutvollen Macho-Tönen und viel Sinn für lyrische
Piano-Feinheiten ein fulminantes Debüt als Edelbandit Dick Johnson.
Marco Arturo Marelli hat dafür den praktikablen szenischen Rahmen
geschaffen. Kein kalifornisches Goldwäschercamp von 1850, sondern eine
heutige Containersiedlung, in der er ohne Experimente Regie führt. Seine
solide Inszenierung bietet nur zwei Überraschungen: Wowkle, Minnies
indianische Haushaltshilfe, hat kein Baby, sondern ist hochschwanger, und im
Finale steigen Minnie und Dick Johnson in einem Fesselballon in den
Opernhimmel auf.
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