|
|
|
|
Opernglas, Oktober 2013 |
U. Ehrensberger |
|
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013 |
|
Don Carlo
|
|
Mehr als jede andere Oper Giuseppe Verdis ist sein »Don Carlo« fester
Bestandteil der Salzburger Festspieltradition. In drei Neuproduktionen und
nicht weniger als sieben Wiederaufnahmen stand die Schiller-Adaption seit
1958 auf dem Programm, wobei sicherlich die legendäre Aufführungsserie aus
den Siebzigerjahren am besten in Erinnerung geblieben ist, in der sich unter
der Leitung von Herbert von Karajan mit Nicolai Ghiaurov, Plácido Domingo,
José Carreras, Mirella Freni und Piero Cappuccilli die damalige Elite des
Verdigesangs auf der Bühne des Großen Festspielhauses versammelte. Insofern
zeigte sich Salzburgs scheidender Intendant Alexander Pereira also durchaus
traditionsbewusst, als er zu Ehren des Jubilars Giuseppe Verdi eine
Neuinszenierung des »Don Carlo« in den Mittelpunkt der diesjährigen
Sommerfestspiele rückte.
Dabei hatte Pereira mit dem Engagement des
bereits in München und London erprobten Don-Carlo / Elisabetta-Bühnenpaares
Jonas Kaufmann / Anja Harteros, Antonio Pappano am Pult der im diesjährigen
Festspielprogramm vergleichsweise spärlich vertretenen Wiener Philharmoniker
und Regiealtmeister Peter Stein die Weichen ganz in Richtung eines
Ereignisses der kulinarischen Sonderklasse gestellt. Erwartungen, die sich
leider nur teilweise erfüllten, zumal Peter Stein gleich an zwei
Anforderungen, den Dimensionen des Großen Festspielhauses einerseits sowie
der schwierigen Dramaturgie des mehrfach überarbeiteten Werks scheiterte.
Gespielt wurde die fünfaktige Fassung, jedoch mit einigen Ergänzungen, die
es nicht einmal in die Uraufführung geschafft hatten, darunter ein Chor
hungernder Holzfäller, der den Fontainebleauakt einleitet und Elisabettas
Verzicht auf eheliches Glück mit Don Carlo noch etwas begreiflicher macht.
Zusammen mit dem Beginn des dritten Aktes, in dem Elisabetta und Eboli auf
dem Maskenball die Kostümetauschen, und dem Lacrimosa nach dem Tod Posas,
erreichte der Abend so fast den Umfang der ursprünglichen Grand Opéra, wenn
auch ohne Ballettmusik. Den Schritt zur französischen Originalsprache wagte
man in Salzburg dennoch nicht, gesungen wurde also auch diesmal italienisch.
Bei fünfeinhalb Stunden Aufführungslänge ist allerdings, noch mehr als im
Falle der weitaus stringenteren vieraktigen italienischen Fassung, die
kundige Hand des Regisseurs gefragt, um das Interesse das Betrachters an der
Vielzahl der kollektiven und persönlichen Tragödien nicht erlahmen zu
lassen. Als sei er von der Strenge des spanischen Hofzeremoniells angesteckt
worden, erlaubte Stein seinen Darstellern jedoch nur sparsame, gemessene
Bewegungen. Viel zu oft standen sich die Sänger in ihren
historisch-detailgetreuen Kostümen (Entwurf: Annamaria Heinrich) unbeteiligt
gegenüber oder gegenseitig im Wege, an Statuarik nur noch übertroffen von
Chor und Statisten. Der inszenatorische Tiefpunkt war schließlich bei dem
gänzlich undramatischen Autodafé erreicht, in dem die Ketzer, Mönche wie
Höflinge — darunter erstaunlicherweise auch Indianer und Chinesen in ihrer
jeweiligen Landestracht — gänzlich unaufgeregt ihren jeweiligen Platz im
Gesamttableau einnahmen und selbst angesichts eines den Degen ziehenden
Thronfolgers nicht in nennenswerte Aufregung verfielen. Und weshalb dieses
Nachtstück fast durchwegs in grelles Licht getaucht wurde, wird wohl auch
das Geheimnis des Inszenierungsteams bleiben. In den aus schlichten
geometrischen Linien und einigen Versatzstücken zusammengesetzten, leicht
sterilen Bühnenbildern von Ferdinand Wögerbauer ließ am Premierenabend
allein Titelheld Jonas Kaufmann das Gefühlsbarometer um einige Grad steigen.
Nach einer nur halbwegs gelungenen, in den Höhen eher mühsam angestemmten
Auftrittsarie fand er schnell zu seiner gewohnten Form und trumpfte mit
viriler, an Wagner gestählter und farbenreicher Tenorstimme auf. Überzeugend
gelang ihm das Rollenporträt eines jungen, verwirrten Mannes, der weder bei
der von ihm geliebten Frau noch als Freiheitskämpfer so recht zum Zuge
kommt. Zusammen mit Anja Harteros als damenhaft pflichtbewusster Elisabetta
bildete er ein routiniertes, stimmlich wie darstellerisch bestens
eingespieltes Bühnenpaar. Harteros' Sopranstimme gehört derzeit zweifellos
der Luxusklasse im Liricospinto-Bereich an, doch zeigte sie sich an diesem
Abend mit einigen Höhenschärfen und Verhärtungen in der Mittellage nicht
über jeden Zweifel erhaben. Spätestens bei ihrem mitreißend dargebotenen „Tu
che le vanità" war sie jedoch ganz in ihrem Element und reihte mit
vorbildlicher Phrasierung und Pianokultur eine musikalische Perle an die
andere. Auch im anschließenden Duett mit Don Carlo fanden Anja Harteros und
Jonas Kaufmann viele innige Töne, wobei manche ihrer geschmäcklerisch
angestimmten Pianissimi in der Mitte des Parketts kaum zu vernehmen waren.
Selten gelingt es einer Interpretin der Eboli, sowohl das
tänzerisch-leichte Schleierlied als auch die dramatischen Ausbrüche in den
späteren Akten gleichermaßen zu bewältigen. Ekaterina Semenchuk mag nicht zu
•diesen seltenen Glücksfällen zählen, doch gestaltete sie mit ihrer vor
allem in der Mittellage ausnehmend schönen Mezzosopranstimme ein mitreißend
temperamentvolles „O don fatale". Die restliche Besetzung blieb allerdings
hinter den Erwartungen, die man in eine Premiere der Salzburger Festspiele
berechtigt setzten darf, deutlich zurück. Thomas Hampsons Baritonstimme ist,
so der Eindruck an diesem Abend, matt und kurzatmig geworden, was die Duette
mit Carlo deutlich aus dem Gleichgewicht brachte. Zudem blieb Hampson
jegliche Rollenidentifikation schuldig, weder nahm man ihm den spanischen
Granden noch sein leidenschaftliches Engagement für die Freiheit Flanderns
ab. Noch schwerwiegender gestaltete sich jedoch die (Fehl-)Besetzung des
Filippo II. mit Matti Salminen. Immer wieder brach ihm die Stimme weg,
rettete er sich in Sprechgesang. Dass ihm der Regisseur ein einförmiges,
distanziertes Lächeln als einzigen Gesichtsausdruck verordnet zu haben
schien, machte die Sache nicht eben besser. Da momentan kein wirklicher
Mangel an ausgezeichneten Interpreten dieser Rolle besteht, fragt man sich,
welche Gründe, außer seiner Verbundenheit zum einstigen Züricher Ensemble,
Pereira veranlasst haben mögen, dem Festspielpublikum zu Höchstpreisen Matti
Salminen als König Philipp und nicht etwa, was viel naheliegender gewesen
wäre, als Großinquisitor zu präsentieren. Dieser war mit Eric Halfvarson
besetzt, der sich offenbar in dem Bestreben, mit Salminens Lautstärke
mitzuhalten, ebenfalls zu unkultiviertem Lospoltern verleiten ließ. Nichts
Gutes zu berichten gibt es schließlich auch über die dritte tiefe
Männerstimme, den heftigst tremolierenden Robert Lloyd als Mönch bzw. Karl
V.
Was an diesem Abend aus dem Orchestergraben drang, vermochte dann
aber doch wieder für manche Unzulänglichkeit der Sängerbesetzung zu
entschädigen. Schon allein das traumhafte Cellosolo vor der Arie des Filippo
II. stellte den Wiener Philharmonikern den besten Qualitätsbeweis aus. Unter
den inspirierenden, differenziert alle Farben der Partitur herausarbeitenden
Händen Antonio Pappanos waren sie nach anfänglichen Verständigungsproblemen
zu grandioser Form aufgelaufen. Das Premierenpublikum reagierte eher
undifferenziert und bedachte sämtliche Mitwirkenden einschließlich des
Regieteams mit demselben großzügigen Applaus.
|
|
|
|
|
|