Donaukurier, 14.8.2013
Von Hannes J. Macher
 
Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 13. August 2013
 
Eine Sternstunde im Verdi-Jahr
 
Salzburg (DK) Solch eine Traumbesetzung dürfte für Verdis packende Historienoper in den nächsten Jahren zweifellos nicht mehr auf die Bühne zu stellen sein: Anja Harteros, Jonas Kaufmann, Thomas Hampson und Matti Salminen – eine Sängerelite der absoluten Spitzenklasse.
 
Dazu die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Antonio Pappano im geradezu rauschhaften Musizieren. Eine großartige, mitreißende Neuproduktion der Festspiele, die Maßstäbe setzt: musikalisch, sängerisch und szenisch.

Dabei hat der Regisseur Peter Stein, Jahrgang 1937, der in seiner Anfangszeit in München und als Intendant in Berlin bei Weitem wüstere Inszenierungen verantwortet hatte, hier ganz auf Konvention gesetzt: Keine Regiegags, keine Aktualisierungen, sondern große Oper mit ausladenden Gesten und wunderschön arrangierten Tableaus. Feierlich wird hier geschritten, weihevoll intrigiert und aus Dank, Eifersucht oder Verehrung reichlich das Knie gebeugt. Doch wirkt dies weder übertrieben noch kitschig, sondern ist zu einprägsamen Bildern geronnen. Dies alles in eine Personenregie gepackt, die bis in die kleinsten Verästelungen der Charaktere der Figuren hineinleuchtet. Eine Inszenierung, die in ihrem stetigen Wechsel von pompösen Bildern samt edlen historischen Kostümen (Annamaria Heinreich) in den Massenszenen und den subtilen Psychosezierungen in den Duetten ganz gewaltig fasziniert.

Stein und Pappano haben aus der italienischen und französischen Fassung der Oper eine eigene geschmiedet, in der die Balletteinlagen fehlen, doch das ansonsten gestrichene Fontainebleau-Bild im ersten Akt und einige kleinere Szenen wiederaufgenommen wurden. Über fünf Stunden dauert diese fünfaktige Version, in der die in Friedrich Schillers Dramenvorlage geschilderten historischen Hintergründe, die politischen und amourösen Beziehungen und der Vater-Sohn-Konflikt verständlich werden: Schließlich hat König Philipp II. von Spanien aus Staatsräson Elisabeth von Valois, die Verlobte seines Sohnes Don Carlo, geheiratet. Die Zuneigung der Verlobten zum Infanten steigert sich dadurch freilich, zumal sie der Kälte ihrer Ehe entfliehen und Don Carlo wenigstens den gepeinigten Untertanen der spanischen Niederlande mit Unterstützung seines Freundes Marquis Posa politische Freiheiten bringen will.

Doch die (All-)Macht des Königs, gestützt auf Bajonette und Intriganten, ist allemal größer. Aber auch er muss vor dem Großinquisitor klein beigeben: Die Rangfolge von Thron und Altar im katholischen Spanien des 16. Jahrhunderts ist klar. Schade nur, dass die Autodafé-Szene, in der unter dem Jubel des Volkes die Ketzer verbrannt werden, zu prunkvoll und zu wenig kritisch ausgefallen ist. Dafür dürfen die Bauern ihre Not drastisch schildern, die weibliche Hofgesellschaft darf im Pool des Schlosses lasziv planschen und die Riesenbühne des Großen Festspielhauses lässt Stein bei den intimen Szenen sehr wirkungsvoll zum Guckkasten verkleinern.

Ist Verdis „Don Carlo“ szenisch und musikalisch bereits Dramatik pur, so stürzte Dirigent Pappano die Wiener Philharmoniker in eine spannungsgeladene, überwältigende Wiedergabe: Neben den hinschmelzend lyrisch gespielten Passagen aufgeraute Klänge voll musikalischer Wucht und Impulsivität. Zur Sternstunde dieser Oper im Verdi-Jahr trugen freilich vor allem die Sängerinnen und Sänger bei: Jonas Kaufmann brillierte wieder einmal mit seinem dunkel gefärbten Tenor und seiner exzellenten Bühnenpräsenz als so melancholischer wie wutentbrannter Infant, während Thomas Hampson einen restlos überzeugenden Posa abgab: Kein Schillerscher Idealist, sondern ein nachdenklicher Freiheitsheld mit prachtvoller Baritonstimme ist er, der mit Pragmatismus den Mächtigen die Leviten liest und die Welt zum Positiven verändern möchte, dafür jedoch (eine ergreifend gesungene Abschiedsarie) mit dem Leben bezahlen muss.

Kein Furcht einflößender Großinquisitor ist Eric Halfvarson hier, sondern ein hinfälliger Greis, der in einem letzten Aufbäumen seine Dominanz über Recht und Gesetz unter Beweis stellt, die der König (Matti Salminen in stimmlicher Höchstform) anzuerkennen hat. Und neben Ekaterina Semenchuk als Gräfin Eboli, Mätresse des Königs mit faszinierendem Mezzosopran, ließ Anja Harteros als Elisabeth das Festspielhaus mit ihrem hochdramatischen Sopran erzittern. Eine Aufführung zum Niederknien, die das Premierenpublikum denn auch mit Ovationen bedachte.









 
 
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