Die Presse, 19.03.2012
Wawe
 
Konzert, Wien, 18. März 2012
 
Ekstatiker am Pult: Andrís Nelsons im Musikverein
 
 
Viel Fortissimo, wenig Klangdramaturgie beim Gastspiel des City of Birmingham Symphony Orchestra im Wiener Musikverein. Andrís Nelson wurde ähnlich heftig bejubelt wie die Solisten Buchbinder und Kaufmann.

Andrís Nelsons hat sich rasch zum Dirigenten-Hansdampf in allen Gassen entwickelt: Concertgebouworkest, Berliner und Wiener Philharmoniker, Met, Covent Garden, Bayreuth, Wiener Staatsoper . . . In der Biografie des 1978 geborenen Letten fehlen nur mehr wenige erste Adressen. Am Wochenende gastierte er nun mit seinem City of Birmingham Symphony Orchestra im Wiener Musikverein und wurde ähnlich heftig bejubelt wie die Solisten Rudolf Buchbinder und Jonas Kaufmann.

Denn Nelsons ist Ekstatiker, feuert seine Mannen mit raumgreifender Zeichengebung ebenso an wie mit einem Lächeln, das auch im Genießerischen stets nach Mehr zu verlangen scheint. Das schenken ihm die Musiker auch – und lassen, vom Chef mitgerissen, daraus eindrucksvolle Passagen erwachsen: etwa die letzten Minuten der zweiten Symphonie von Sibelius, die Nelsons insgesamt in ungeschönter Herbheit zum Brodeln brachte. Unüberhörbar blieb jedoch auch hier sein Hang, jeden Höhepunkt so explosiv zu deuten, als kulminiere gerade in ihm das ganze Werk – anstatt größere Zusammenhänge herauszuarbeiten und verständlich zu machen.

Gewiss waren auch viele zarte Phrasen zu hören, in Debussys „La mer“, das Nelsons dort und da breiter als üblich (und nötig) wogen ließ, oder in Ravels 2. Suite aus „Daphnis et Chloé“, bei der die zentrale Pantomime in ihrer Ausführlichkeit dann doch verschleppt wirkte. Hier wie dort jedoch drohte das dynamische Profil sich vor lauter Gipfeln dennoch zum ermüdenden Einerlei abzuschleifen – zumal die Gäste aus Birmingham durchaus nicht stets mit den edelsten Klängen aufwarten konnten, und nicht alles so genau geprobt schien wie Brittens „Sea Interludes“. Zu viel, zu früh: Was für die Karriere gilt, scheint sich auch in Nelsons Interpretationen zu spiegeln.

Intensität des Leisen: Rudolf Buchbinder

Die Intensität des Leisen ließ sich dagegen bei Buchbinder studieren, der in Beethovens viertem Klavierkonzert gerade mit seinem konsequent im Pianissimo verharrenden Orpheus-Gesang im langsamen Satz die dramatische Wechselrede mit den harschen Streichern für sich entscheiden konnte und erst lauter wurde, als er diese gleichsam schon niedergerungen hatte. Mahlers „Kindertotenlieder“ dagegen blieben beim viel gerühmten Jonas Kaufmann blass. Er schien sich bei Strauss-Liedern wohler zu fühlen – zur großen Freude der Fans.






 
 
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