Salzburger Nachrichten, 25.10.2012
HEDWIG KAINBERGER
 
Schubert: Die schöne Müllerin, Wiener Staatsoper, 23. Oktober 2012
 
Müllersbursch mit Traubenzucker
 
Er fühle sich schwach, er sei zittrig, gestand Jonas Kaufmann am Dienstagabend auf der Bühne der ausverkauften Staatsoper in Wien, wo er Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ singen sollte. Er sei unfreiwillig nüchtern, den ganzen Tag schon nahrungslos, wegen einer ihn brutal entleerenden Magen-Darm-Grippe-Attacke. Jetzt, auf die Bühne, habe er daher Wasser und Traubenzucker mitgebracht, denn „ich möchte nicht vor dem Ende kapitulieren müssen“.

Tatsächlich musste man ein wenig bangen um den Müllersburschen, die unbeschwerte Wanderslust konnte man nicht recht vernehmen, „frisch und wunderhell“ waren zunächst nur Worte im Text. Und der Sänger war noch nicht trittfest im raschen Auf und Ab der Noten, dem rauschenden Bächlein entlang.

Bald fand er Sicherheit, verschmolz mit der markanten und zugleich behutsamen Begleitung Helmut Deutschs am Klavier und entfaltete immer mehr und mehr der Tönungen seiner Stimme – weich wie klar, samtig wie metallisch strahlend. Das Traubenzucker-Doping gönnte er sich vor der „Pause“, dem Lied über die an der Wand hängende Laute, über den Nachklang seiner Liebespein.

Vor allem das Leise ging Jonas Kaufmann fein von der Kehle – weich, zart und doch bestimmt wie „Oh Bächlein meiner Liebe“; verhalten, scheinbar sanft, bis hin zu beherrscht und gar so, als hätte er einen Vulkan zu bremsen bei „Und wenn sie tät die Äuglein zu“.

Jonas Kaufmann lässt sich nicht nur tragen von Wilhelm Müllers Poesie und Schuberts Musik, sondern bringt mit jeder Körperfaser, mit kleinen Gesten und vor allem mit seiner Stimme Myriaden von Gefühlsnuancen zum Ausdruck. Es fehlen die Adjektive, um zu beschreiben, wie das Liebesunglück in den drei Strophen von „Die liebe Farbe“ schillert: bitter, unerbittlich, verletzt, verhärmt, verzagt, oder war da auch Zorniges?

Am Ende eruptieren die Bravos, Blumen fliegen auf die Bühne, viele Blitzlichter, ein bisschen wie Popkonzert.
 














 
 
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