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Online Musik Magazin |
Von Roberto Becker |
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Wagner: Lohengrin, Teatro alla Scala, 7. Dezember 2012 |
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Wer bin ich? Und wenn ja, warum? |
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Daniel Barenboim hat bekanntlich mehr als nur eine Schwäche für die Musik
Richard Wagners. Der gerade 70 Jahre gewordene, nicht nur in „seinen“
Häusern in Berlin und Mailand den Ton angebende, sondern weltweit agierende
(kosmo-)politische Dirigent traut sich bekanntlich nicht nur in Israel am
Bannfluch zu rütteln, den der deutsche Komponist dort den Nazis zu verdanken
hat. Er schafft es sogar, gemeinsam mit dem französischen Intendanten
Stéphane Lissner, dass die Mailänder Scala die Saison des Verdi- und
Wagnerjahres 2013 nicht mit einem Werk des italienischen Hausgottes, sondern
mit Wagners Lohengrin eröffnet. Den altmodischen Programmzettel ziert sogar
ein „VW 1813-2013 Bicentenario Verdi Wagner“. Derart programmatisch die
Ebenbürtigkeit der beiden gleichaltrigen Musikheroen des 19. Jahrhunderts
südlich und nördlich der Alpen herauszustellen, haben sich die deutschen
Opernhäuser jedenfalls entgehen lassen.
Dass es bei so viel
Weltläufigkeit natürlich auch vernehmliche (u. a. von Riccardo Muti auf den
Punkt gebrachte) Proteste dagegen gab, dass der Inaugurazione-Rummel damit
sozusagen zu einer deutschen Angelegenheit wurde, war zu erwarten. Dass der
wegen der politischen Krise in Rom auf seinen diesjährigen Opernbesuch in
Mailand verzichtende Staatspräsident Napolitano sogar in einem Brief an
Maestro Barenboim versicherte, dass seine diesjährige Abwesenheit auf keinen
Fall gegen ihn oder Wagner gerichtet sei, verdeutlicht, wie sehr die Gemüter
in Wallung geraten waren.
Immerhin kam, wenn auch mit Verspätung,
Ministerpräsident Mario Monti. Doch dass diesmal nicht wie gewohnt als
erstes die italienische Nationalhymne geschmettert wurde, hatte mit diesen
protokollarischen Begleitumständen (wie von manch einem vermutet) gar nichts
zu tun. Barenboim hatte sie schlichtweg vergessen und reichte sie am Ende in
den Schlussapplaus hinein nach. Was den Jubel verlängerte und den
mitsingenden Protagonisten, allen voran Jonas Kaufmann, zusätzliche
Sympathiepunkte einbrachte. In der musikalischen Hauptsache allerdings
erinnerte sich Barenboim von Anfang an daran, dass der Lohengrin Wagners
italienischste Oper ist. Und so klang das Orchester bei ihm meist
schwungvoll und schmissig, jedenfalls immer deutlich jenseits von andächtig
romantischem Zelebrieren. Und Jonas Kaufmann lieferte als Titelheld
tatsächlich vokal den Superstar mit vokalen Gralsqualitäten. Es ist müßig,
seine Qualitäten mit denen des anderen deutschen Lohengrins vom Dienst,
Klaus Florian Vogt, aufzurechnen. Aber reflektierter, trauriger und
irgendwie vielschichtiger als Vogt ist Kaufmann in dieser Partie schon.
Wobei sich der Rückenschauer, den er mit seiner singulären Gestaltung der
Gralserzählung in München erzielte, diesmal nicht ganz einstellte, obwohl
auch diesen Lohengrin eine panische Furcht vor seiner Rückkehr in den Gral
(oder wohin auch immer) packt.
Auch René Pape lieferte als
König Heinrich höchsten Wagnerstandard. Er kann das vielleicht noch markiger
und donnernderer, doch für seinen ruhig überlegenen Mailänder Heinrich traf
er das rechte Maß. Mit ihrem Lodern in der Stimme und ihrer dramatischen
Wucht lehrte Evelyn Herlitzius als Ortrud nicht nur Elsa das Fürchten. Ihre
Stimme bleibt Geschmacksache, doch wie sie sich an ihre Götter wendet, das
gehört zu den großen Momenten dieser Produktion. Für die eigentlich
vorgesehene, aber erkrankte Anja Harteros (Kaufmanns Münchner Traum-Elsa)
und auch noch für deren ebenfalls ausgefallene Vertretung Ann Petersen (die
die Vorpremiere für die „U30“ Zuschauer drei Tage zuvor noch gesungen hatte)
war in buchstäblich letzter Minute Annette Dasch eingesprungen. Mit allen
Vor- und Nachteilen, die das hat. Sie mag eine Elsa von Brabant sein, aber
nur für ihre hartnäckigsten Fans ist sie eine Elsa von Format. Wenn man die
Augen schließt, stellt sich jedenfalls keine romantische Verzauberung ein.
Wenn man sie öffnet muss man ihr, dessen ungeachtet, größten Respekt zollen.
Szenisch ist sie nämlich ein Glückgriff. Nichts war da von markierender
Unsicherheit beim Spiel. Offenbar ist es Claus Guth nicht nur gelungen, ihr
seine Rollenvorstellung in kürzester Zeit zu verdeutlichen. Diese Sängerin
ist offenbar in der Lage, sich blitzschnell einzudenken und das auch
glaubhaft umzusetzen. Die Italiener bejubelten (mit weniger guten Gründen)
auch die übrigen Interpreten, wie Tómas Tómasson als recht verschwommenen
und beiläufigen Friedrich Telramund sowie den erstaunlich unscharfen
Heerrufer von Zeljko Lucic. Natürlich wurde auch der Chor (der sich schon
sehr wichtig nahm und manchmal auf und davon wollte) und natürlich das
Orchester und Daniel Barenboim ausgiebig gefeiert.
Selbst Claus Guth
und sein Team kamen glimpflich davon, wenngleich sie einige Buhs einstecken
mussten. Ausstatter Christian Schmidt hatte die Bühne kino- und
fernsehübertragungswirksam als eine Art Innenhof von einer Fassade mit
durchgehenden Balkon-Galerien begrenzt. Diese Spielfläche wurde, je nach
Bedarf, mit einem riesigen Tisch, einem Kronleuchter, einem Klavier sowie
ein (erster Aufzug) bis fünf (in Teilen des dritten Aufzuges) Baumstämmen
und Schilf am See bestückt. Was Guth dann aber mit gewohnt
psychologisierendem Ehrgeiz erzählt, kollidiert diesmal mit der szenischen
Umsetzung und geht nicht so recht auf. Lohengrin ist bei ihm kein
strahlender Held, sondern ebenso ein traumatisiertes Opfer wie Elsa. Kein
Schwan zieht ihn an Land, er liegt plötzlich verkrümmt und verängstigt am
Boden und nur ein paar Federn fliegen durch die Gegend. Die Lichter-Show des
Wunders seiner Ankunft steuerten die ungeniert blitzlichternden Italiener
spontan aus dem Zuschauerraum bei und blieben auch da bei dieser Unart, wo
es wirklich störte. Was wiederum zum ausgeprägten, ebenso ungenierten,
permanenten Türenknallen passte. Bei Verdi hätte man sich das wahrscheinlich
nicht getraut.
Claus Guth jedenfalls evoziert die Entstehungs- oder
erste Wirkungszeit des Lohengrin mit finsteren Männern mit Zylindern und den
Uniformen für den König und seinen Heerrufer. Er lässt Kinderdouble der
Protagonisten durch die Szene geistern, rückt Elsas verschwundenen Bruder
Gottfried und ihren Retter Lohengrin äußerlich (und damit in Elsas
Vorstellung) dicht aneinander. So wie im passenden Moment immer eine
Schwanenfedern zur Hand ist, und wie die Kleidung des imaginierten Gottfried
der von Lohengrin ähnelt, weist das auf eine Identifizierung der beiden in
Elsas Vorstellung. Vielleicht ja auch in der Vorgeschichte dieser
psychologisierenden Variante. Kaufmann und auch Dasch spielen ihre
Traumatisierungen jedenfalls überzeugend. Auch wenn das am Ende nicht ganz
aufgeht und mehr Fragen offen bleiben, als in ein neues Erkenntnis-Licht
gerückt würde. An die Thriller-Qualitäten der politischen
Lohengrin-Interpretationen etwa von Andrea Moses (Dessau) und Tilmann Knabe
(Mannheim), oder den kultigen Surrealismus von Hans Neuenfels in Bayreuth
kommt diese Lesart, mit ihrer Mischung aus Entstehungszeit und aufkommender
Psychoanalyse, nicht heran. Und darüber, was das Klavier im Schilf an dem
Teich zu suchen hat, in dem Elsa zu (un-) guter Letzt ertrinkt, kann man
lange nachdenken. Oder es lassen. Für die Scala hat sich der Rummel gelohnt.
Weltweite Übertragungen in Kinos und im Fernsehen. Und die schöne Illusion,
dass Italien immer noch etwas mit Oper zu hat. Jedem neuerlichen Beleg über
den Kulturverfall dortzulande zum Trotz.
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FAZIT
Dieser Lohengrin hatte, vor allem durch Jonas Kaufmann,
berückende Momente. Die Inszenierung bietet Anregung, kombiniert
aber mehr bekannte Versatzstücke von Claus Guth, als das sie einen
zwingenden eigenen Zugang hätte. Die Inaugurazione freilich ist zu einer
Veranstaltung geworden, bei der es noch mehr als immer schon, vor allem um
das Gesehen-Werden geht, als um das, was auf der Bühne passiert.
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