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Der Neue Merker, 1.11.2012 |
Dr. Ingobert Waltenberger |
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Beethoven: Fidelio, Paris, Théâtre des Champs Elysées, 30. Oktober 2012 |
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PARIS/Théâtre des Champs Elysées: FIDELIO mit J. Kaufmann, W. Meier
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Beethovens Hohelied der Liebe und Freiheit konzertant mit Waltraud Meier und Jonas Kaufmann |
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Wahrscheinlich weiß niemand so recht wie das genau war damals, als die erste
Version der Oper Fidelio, mit dem Titel „Leonore“ am 20. November 1805 vor
frz. Soldaten im besetzten Wien zum ersten Mal aufgeführt wurde. Ich darf
aber der Jonas Kaufmann und Waltraud Meier „Gemeinde“ unter den
Merker-Freunden mit großer Freude berichten, dass die unter elektrischer
Spannung stehende Aufführung mit den Kräften des Chors und Orchesters der
Bayerischen Staatsoper unter Adam Fischer zu einem heftigst umjubelten
Triumph vor allem für die beiden Hauptprotagonisten wurde.
Frankreich
ist ja eng mit der Geschichte Fidelios verbunden, basiert doch das Libretto
von Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke (Fassung 1814) auf dem
Roman „Léonore ou l’amour conjugal“ von Jean-Nicolas Bouilly. Und letzterer
beruht wiederum auf einer angeblich wahren Begebenheit aus dem Loire
Städtchen Tours während der frz. Revolution, wo eine Frau eine Arbeit im
örtlichen Gefängnis gesucht hatte, um ihren Gatten – schließlich erfolgreich
– aus diesem zu befreien. Eine wunderbare Geschichte, echtes Zeugnis
französischer Kultur und Mentalität.
Das Publikum im Saal, teilweise
weit gereist (eine aufgeregte Dame neben mir kam eigens aus dem 700 km
entfernten Nimes, auch den Chef der Münchner Oper, Klaus Bachler habe ich
gesichtet), zu diesem Event der klassischen Musik, bereitete am Ende
Standing Ovations den ganz und gar glücklichen Stars der Aufführung. Prima
inter pares Waltraud Meier, mythisches Gesangs- und Ausdruckswunder, in
diesem Fach nach Martha Mödl bester deutscher Exporthit. Beide auch
besonders in Frankreich unglaublich beliebt. Um gleich mit möglichen
Fragezeichen zu beginnen: Wie nicht anders zu erwarten, funktionieren die
beiden Spitzentöne in der Arie auch bei höchstem Druck nicht mehr und
geraten zu tief. Auch nicht ohne Überraschung, beginnt Frau Meier den 1. Akt
sehr vorsichtig und hat ebenso wie die schon zitierte Fideliolegende Martha
Mödl Schwierigkeiten mit den aus der ersten Fassung gebliebenen Verzierungen
und „kurzen Noten“ der vokal immens diffizilen Titelpartie. Aber welche
Intensität in Haltung und Ausdruck. Welche Steigerung und Metamorphose zum
gloriosen Ende hin, welch sichtbar schönes und glaubhaftes Symbol der
Gattenliebe, der Freiheit, des Unbedingten. Eine Verkörperung des Kant’schen
Imperativs, jede Faser in jeder Sekunde gespannt. Und auch stimmlich im 2.
Akt dramatisch unnachahmlich verkündet sie die humanistische und
künstlerische Botschaft mit unverändert edlem Klang. Waltraud Meiers
musikdramatische Meisterschaft siegt über die conditio humana vokaler
Abstriche. Das wurde auch vom Pariser Publikum so gewürdigt, in banalen
Dezibel gemessen, belegt sie den ersten Rang beim Solo-Schlussapplaus.
Und das ist keine Kleinigkeit bei einem Partner wie Jonas
Kaufmann, der als großer Publikumsliebling mit stürmischem Auftrittsapplaus
begrüßt wird. Die Meriten dieses Ausnahme(helden)tenors, der am Zenit seiner
Karriere steht, liegen eindeutig auf der stimmlichen Seite: Souveräner kann
man diese Partie nicht singen. Vom ersten Pianissimo des „Gott, welch Dunkel
hier“ bis hin zum finalen kollektiven Rausch des Hohelieds der Gattenliebe
eine wahrlich großartige Gesangsleistung. Klare zarte Piani, Crescendi,
Decrescendi, mächtiges heldisches Metall, Jonas Kaufmann hat „alles drauf“.
Kaufmann ist ein immens musikalischer Mensch, seine interpretatorischen
Fähigkeiten speisen sich denn vor allem aus der Raffinesse des Vortrags und
den – scheint es – schier grenzenlosen vokalen Möglichkeiten. „Siegfried“
wäre jetzt schon locker in Bereich seiner Möglichkeiten. Von der
Ausstrahlung her ist er in dieser konzertanten Aufführung der ein wenig
reservierte, etwas schüchterne, ein bisschen nonchalante, gleichzeitig noch
jungenhaft wirkende Mann von nebenan. Der diskrete Nachbar, den jeder gerne
haben würde. Seine Konzentration entgleitet ihm manchmal sichtlich, wenn er
„nicht dran“ ist. Dann wirkt der durchaus charismatische Münchner eher wie
ein aufmerksamer Zuhörer und Beobachter der Kolleginnen und Kollegen und des
Saals als ein Akteur. Ganz im Gegensatz zur immer präsenten Waltraud Meier,
von der Florestan durch das Dirigentenpult getrennt ist, was manchmal
unnötig Distanz schafft.
Was das Gesamtensemble betrifft, so
war es luxuriös, nicht aber homogen zu nennen. Drei Generationen von Sängern
lieferten ein interessantes Menü, nicht aber ein besonders aufeinander
abgestimmtes. Wie sieben Appetithappen ganz zufällig auf einem Teller
angerichtet rein optisch alle Wonnen verheißen, aber beim Kosten nicht immer
auf der Zunge harmonieren. Da sind als Vertreter der jungen Garde vor allem
die Marzelline von Hanna Elisabeth Müller, der tadellose Jaquino des
Österreichers Alexander Kaimbacher und der Don Fernando von Tareq Nazmi zu
nennen. Hanna Elisabeth Müller, eine echte Gesangsbegabung aus dem Studio
der Bayerischen Staatsoper, verfügt über einen expansionsfähigen lyrischen
Sopran. Mit dem sie etwas übereifrig (naiv?) im Quartett im 1. Akt ihre
Mitstreiter teils gnadenlos überdeckt. Warum kann ein Dirigent wie Herr Adam
Fischer hier nicht einschreiten und – wie es auch bei einem Chor üblich ist
– einfordern, auf die Ensemble-Partner zu hören? Mir ein Rätsel. Alexander
Kaimbacher ist ein besonders von der Diktion her ausgezeichneter Sänger mit
gut fokussiertem Charaktertenor. Der aus Kuweit stammende 30-jährige
riesengroße Tareq Nazmi ist Ensemblemitglied der Bayrischen Staatsoper. Ein
vielversprechender Bass mit sympathischer Ausstrahlung, von dem man sicher
noch viel und das mit Freude hören wird.
Last but noch least zwei
Schwerkaliber: Der Pole Tomasz Konieczny, der als Don Pizzaro eine
beeindruckende Leistung bietet. Seine Stimme, in den unteren Registern etwas
weiß, entfaltet sich heldisch und gebieterisch in der Höhe. Der als Sarastro
berühmt gewordene Finne Matti Salminen als Rocco liefert neben Waltraud
Meier die konzentrierteste Gesamtleistung. Ohne jegliche Einschränkung
wuchtet Salminen einen mustergültige Vater und Gefängniswärter auf die
Bühne. Sein mächtiger Bass ist in allen Lagen souverän, sein Ausdruck und
der melancholische Klang seines Basses bereits Legende. Bravo! Tadellos auch
die beiden Gefangenen Tim Kuypers und Dean Power.
Das Orchester und
der Chor der Bayerischen Staatsoper versuchen dem mit toscaninihafter
Zackigkeit agierenden Adam Fischer zu folgen. Nicht immer mit Erfolg. Bei
allem funktionierenden Sog besonders im zweiten Akt hätte ich mir persönlich
mehr „Furtwängler“ gewünscht, mehr souplesse gegenüber den Solisten, eine
weniger militärkapellmeisterliche Attitüde. Die dritte Leonorenouvertüre
gerät dennoch zum großen Erfolg, den oratorienhaften Schluss der Oper
peitscht er in lichte Höhen. Schlussendlich entlädt sich die aufgestaute
Spannung in frenetischen Jubel. Ein großer Abend im Théâtre des Champs
Elysées!
Tipp: Die von France Musique mitgeschnittene Aufführung wird
am 10. November um 19h im Radio übertragen.
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