Merkur, 16.1.2012
Markus Thiel
Verdi: Don Carlo, Bayerische Staatsoper, 15. Januar 2012
In einer eigenen Liga
 
In grauer Vorzeit, also dreißig Jahre vor Bachler-Zeitrechnung, gab es das schon mal. Verdis „Don Carlo“ als Mega-Menü, etwa als Freni-Carreras-Baltsa-Ghiaurov-Superbesetzung, die Stimmschlürfer in Massen an die Kassen trieb. Ähnliches bei der aktuellen Nonplusultra-Serie der Bayerischen Staatsoper: Eine solche „Suche-Karte“-Phalanx vor dem Haus marschiert nicht einmal bei Premieren auf. Und die Papierform der Stars wurde Realität. Jonas Kaufmann bei seinem Münchner Titelrollen-Debüt, dazu Anja Harteros (Elisabetta), René Pape (Philipp II.) und Eric Halfvarson (Großinquisitor) als Klang und Gestalt gewordener Albtraum – idealer lässt sich das Vier-Stunden-Drama nicht bestücken.

Und das Beste: Wenn solche Solisten auf der Bühne stehen, die sich nicht nur Rollen überstülpen, sondern sie bis zur letzten Nervenfaser erfühlen, dann knistert Premierenstimmung – selbst in Jürgen Roses elf Jahre altem, meist stockdunklem Arrangement. Den pubertären Jüngling an der Schwelle zum Generationenkämpfer, der oft hilflose Versuch, seine Gefühle zu kanalisieren, all das nahm man Jonas Kaufmann in jeder Sechzehntel ab. Vokal war der Münchner auf Dezibelrekorde gepolt. Bei seinen sehnigen Macho-Tönen nebst gelegentlichen Schluchzern droht ja auch Suchtgefahr. Weniger dort, wo der Star Lyrisches riskierte und die Stimme in Mandelnähe kippte.

René Pape ist als gebrochene Philipp-Autorität mit seiner extrem nuancierenden Deutung längst in die Fußstapfen legendärer Rollenvorgänger getreten. Doch wie man Stilempfinden, dramatisches Bewusstsein, vokale Fantasie und technische Finesse verbindet, das führte Anja Harteros vor. Ihre Elisabetta agiert in einer eigenen Liga – kaum vorstellbar, dass diese Rolle je so erfüllt interpretiert wurde. Dass dagegen Anna Smirnova (Eboli) mit slawischer Schwerblut-Dramatik und Posa-Einspringer Boaz Daniel etwas abfielen: Wen kümmert’s? Daniel würde zwar von der Phrasierungsarbeit gut zur Harteros passen. Doch für seinen über Gebühr hochgepegelten Bariton bekam er die Quittung – Posas Tod trat gerade rechtzeitig ein.

Agiler Lotse oder kundiger Sekundant: Mehr war für Dirigent Asher Fisch nicht drin. Vieles klang nach Sicherheitstempo, dramatische Attacke ereignete sich nur in homöopathischen Dosen. Die Stars durften ihre Eitelkeiten ausleben. Wie das eben so ist, wenn der erste Abend als Generalprobe herhalten muss.


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