Online Musik Magazin
Von Stefan Schmöe
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele
 
Viel Tanz und einen Mord zum Abschluss
 
Dass ein Orchesterchef seine Ehefrau oder ein Intendant seinen Lebenspartner partout gegen den Willen des anderen einsetzt oder am Einsatz hindern will, hat in Wiesbaden gerade zu einer bizarr komischen Provinzposse geführt. Wenn aber der Chef der Berliner Philharmoniker die Titelpartie der einen Opernproduktion, zu dem das Nobelorchester seit 1967 zu Ostern nach Salzburg aufbricht, mit seiner Ehefrau besetzt, geht das als Personalie erstaunlicherweise nahezu unbeanstandet durch. Nun ist die Ehefrau von Sir Simon Rattle, Magdalena Kožena, ja eine exzellente Sängerin. Bei ihr stehen weder ihr stimmliches Potential noch ihr Können oder ihre Ambitionen, sich eine Rolle auch auf der Bühne wirklich anzueignen, in Frage. Aber sie dem europäische Spitzenpreise zahlenden Salzburger Osterfestspielpublikum als Carmen zu präsentieren, das ist schon ziemlich kühn. Und ein besonderes Risiko obendrein, kehren doch die Berliner Philharmoniker mit dieser Produktion Salzburg den Rücken. Ziemlich abrupt hatte das Orchester mit der von Herbert von Karajan installierten österlichen Tradition gebrochen und sich von Andreas Mölich-Zebhauser in das (mit einigem Aplomb aufstrebende) Festspielhaus nach Baden-Baden abwerben lassen.

Von dort aus werden sie ab 2013 mit Salzburg (Zauberflöte dort, Parsifal hier) konkurrieren. Die dabei wohl mitschwingende Hoffnung, auch die zahlungskräftigen Anhänger mit zunehmen, dürfte nach der von Sir Peter Alward in Respekt einflößender Entschlossenheit und Kürze aus dem Hut gezauberten Nachfolgelösung einen ziemlichen Dämpfer erhalten haben. Mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Christian Thielemann ist die Lücke nämlich mit einem der besten deutschen Opernorchester und dem deutschen Hoffnungsträger unter den Großdirigenten mehr als gut gefüllt. Für einen neu berufenen Festspiel-Chef, der das mit krimineller Energie in schwere finanzielle Schieflage geratene Nobelfestival gerettet hat, eine durchaus gerechte Erfolgsprämie!

Vor diesem Hintergrund hätte der letzte Opernausflug der Berliner an die Salzach auch schief gehen können. Aber wer bereit ist, Spitzenpreise bis zu 500 für einen Platz im Großen Festspielhaus hinzublättern, um zu hören, zu sehen und gesehen zu werden, der ist wahrscheinlich ohnehin milde gestimmt. So kann man den protestfreien Schlussapplaus nach der Carmen-Premiere getrost als ein freundliches Adieu für Rattle, die Berliner und die Interpreten deuten.

Die überzeugendsten künstlerischen Leistungen wurden gleichwohl gebührend gefeiert. Jubelstürme ernteten nämlich völlig zu recht vor allem die hinreißende Genia Kühmeier als innige Micaëla und natürlich Jonas Kaufmann als Don José vom Dienst. Dieses Paar hatte jene Leidenschaft und durchgängige vokale Überzeugungskraft, die sowohl Carmen als auch Escamillo zum Teil schuldig blieben. Koženás Carmen kommt nicht über die eher etwas schlichte, leichtlebige Göre hinaus. Jenes selbstbewusste Auftrumpfen, mit dem eine Carmen sich aus ihrer Leidenschaft gegen eine ganze Welt der Männer zu behaupten vermag, findet man in ihrer tänzerischen Beweglichkeit kaum. Auch Kostas Smoriginas, schafft es, trotz seiner noblen vokalen Anstrengungen, nicht zu vermitteln, warum ihm die Herzen seines Publikums in der Arena oder das einer Carmen zu fliegen sollten. Natürlich bleibt das gesangliche Niveau dennoch hoch. Die kleineren Rollen sind sorgfältig besetzt und Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker absolvieren ihren Ausflug in die französische Oper mit allen Vorzügen im Detail und Nachteilen im Ganzen, die ein Orchester mitbringt, das auf dem Konzertpodium Maßstäbe setzt und im Graben eines Opernhauses nur gelegentliche Gastspiele gibt. Dabei muss man Rattle zu Gute halten, dass er in der schwierigen Akustik des Großen Festspielhauses dafür sorgte, dass nicht nur seine Gattin, vokal nicht untergingen – zumindest im Rang waren sie allesamt gut zu hören.

Von den beiden Funktionen, für die der Name von Aletta Collins auf dem Besetzungszettel steht, füllte sie die der Choreografin originell und sinnlich, die der Regie routiniert erzählend aus. Die Balletteinlagen der zwanzigköpfigen Truppe, gleich zu Beginn als Flamenco und dann immer mal wieder zwischen drin, sorgten für eine Erweiterung ins Assoziative und füllten die gefährlich große Bühne sinnvoll aus. Miriam Buether bot dafür das passende Ambiente und genügend Spielraum zur Entfaltung.

Es beginnt mit einer Truppe von Röcke schwingenden Señoritas, die auf der Bühne und auf dem Laufsteg vor dem Orchestergraben mit ihrem a-capella-Flamenco vor dem Einsatz der Musik eine Publikumsnähe postulieren, die dann freilich doch mehr ein Versprechen bleibt. Ihr wiederholtes Auftauchen zählt allerdings zur Habenseite einer Produktion, die insgesamt eher konventionell bleibt und das Stück nicht hinterfragt. Im ersten Bild finden sich dann auch der Eingang zur Zigarettenfabrik, der Versand und eine Art Kasernenkantine auf zwei Etagen verteilt zusammen auf der Bühne. Die Schenke von Lilas Pastia wirkt eher wie ein rotlichtgedämpftes, leicht verruchtes großstädtisches Varieté. Geschmuggelt wird zwar nicht in einer Felsengegend, aber eine Steilwand gibt es auch, freilich mit einem Riesenkanalrohr.

Das letzte Bild vor der Arena mit seiner geschwungener Gasse in südländischem Farbton will wohl etwas den Festwiesenaufmarsch der Meistersinger imitieren, wirkt aber mit den großen Pappköpfen eher unfreiwillig komisch. Auch der Eifersuchtsmord am Ende schafft es nicht von der bloßen Konvention in ein packendes, gar erschütterndes Finale. In diesem vorhersehbar wechselnden Ambiente wird in Salzburg im Ganzen brav und im Detail konventionell eine Geschichte erzählt, die eigentlich das Zeug zum packenden Thriller hätte.


 






 
 
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