Der Neue Merker, 11. APRIL 2012
Dr. Georg Freund
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 9. April 2012
 
SALZBURG/ OSTERFESTSPIELE: CARMEN am 9.4. 2012
 
armen-Vorstellungen sind fast immer ausverkauft- nicht so bei den heurigen Salzburger Osterfestspielen: Hier waren an der Abendkassa noch genügend Plätze verfügbar- wohl die Folge exorbitanter Preise und teilweise unzulänglicher Besetzungen

Gespielt wurde wieder einmal die Dialogfassung, die ungestrichen eine Fülle interessanter Informationen zum Stück bieten würde, die aber hier auf einige wenige Worte reduziert war, die noch dazu mit teilweise recht fragwürdiger Aussprache dargeboten wurden. Franz Welser-Möst, an und für sich ein Freund „gereinigter Urfassungen“, hat zu Recht für seine Züricher Aufführung die für eine internationale Besetzung und ein internationales Publikum wesentlich praktikablere Dialogfassung, mit den von Bizets Schüler Guiraud für die Wiener Hofoper komponierten Rezitativen (durchwegs auf Musik von Bizet basierend) gewählt und dazu noch erklärt, Bizet habe vor seinem Tod noch die Absicht geäußert, Rezitative für Carmen zu komponieren.

„Regie und Choreographie“ hatte Aletta Collins zu verantworten. Der Orchestergraben war von einem Laufsteg umgeben, den fallweise die Sänger betraten, den aber meist schwarz gewandete Tänzerinnen, die aussahen wie aus Bernarda Albas Haus entsprungen, für ihre wenig eindrucksvollen Darbietungen verwendeten. Ich nehme an, die Frauen in Schwarz sollten das Fatum versinnbildlichen- das wäre dann eine Anleihe bei Jean-Pierre Ponnelle, der Ähnliches in Cavalleria rusticana gezeigt hat. . Die breite Bühne des großen Festspielhauses hatte die offenbar vom horror vacui erfüllte Regisseuse oben und an den Seiten mit Bretten verschlagen lassen, was recht billig aussah.. Natürlich wurden alle vier Vorspiele der Oper “inszeniert“, das heißt mit revueartigen Tanzdarbietungen illustriert. Gerne hätte ich auf diese optische Bevormundung verzichtet. Bemerkenswert daran waren nur die geradezu unglaublichen Verrenkungen, die ein Tänzer ausgerechnet zu den sanften Harfenakkorden des Vorspiels zum dritten Akt ausführte. Balinesische Tempeltänzerinnen könnten nicht mehr Gelenkigkeit zeigen.

Beim jähen Abbrechen des dämonischen Motivs in der Ouvertüre öffnete sich der Vorhang und zeigte die Packstation einer Tabaksfabrik, in der eifrig Zigarettenkartons geschupft und verladen wurden. Die Korsoschlenderer von Sevilla und die Wachablöse wirkten freilich in diesem völlig realistisch dargestellten Ambiente völlig deplatziert. Carmen fuhr in einem Paternoster-Aufzug in dem sie sich mit Zuniga vergnügte, auf die Bühne und dann nahm die Handlung kreuzbrav ihren Lauf, völlig frei von neuartigen Deutungen oder Einfällen, ganz und gar konventionell. Bisweilen erstarrten Chor und Statisterie zu Tableaux, etwa wenn Carmen José die Blüte zuwarf.- auch das schon allzu oft gesehen. Frau Collins beherrscht übrigens das Regiehandwerk schlecht, sonst hätte sie nicht entscheidende Momente der Handlung durch überflüssige Aktionen im Hintergrund der Bühne stören lassen. Die Schenke des 2.Aktes war in die schwüle Bar eines öffentlichen Hauses verwandelt, in dem eine Frau die Männerrolle des Lillas Pastia verkörperte, der Schmugglerakt spielte vor den Röhren eines Kanalisationssystems und im Schlussakt war die Bühne so verbaut, dass für die Volksszenen und den Aufzug der Stierkämpfer, die übergroße Papiermaché-Masken trugen, kaum Platz blieb. Die Kostüme zeigten Anklänge an die Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts und waren hässlich und unvorteilhat, besonders für die arme Micaela, der auch noch eine Gretelfrisur verpasst wurde. In summa: Eine recht geistlose Deutung von Bizets Meisterwerk, die aber auch das konservativste Publikum nicht schockieren könnte.

Als schwerste Hypothek lastete Magdalena Kozenas Carmen auf dieser Aufführung: Die Kozena hat eine angenehme Stimme und sieht gut aus, besitzt aber nicht einen Funken Dämonie und verführerische Ausstrahlung , die für diese Rolle unbedingt erforderlich wären. Ihr Spiel war hölzern, bestand aus ein paar leeren, abgestandenen Operngesten und ein paar einstudierten Posen. Auf Josés leidenschaftliche Ausbrüche reagierte sie mit pikierter Miene- nicht gerade ein diable oder démon, als der sie im Text bezeichnet wird., eher eine Dame der Gesellschaft, die sich aus unerfindlichen Gründen barfuß nach Sevilla verirrt hat und kaum gefährlicher wirkte als Micaela.

Die chansonartig vorgetragene Habanera konnte noch gefallen, aber an allen dramatischen Stellen wurden die stimmlichen Grenzen der Kozena deutlich, am Ende des 2. Aktes stellten sich deutliche Höhenschwierigkeiten ein. Das Kartenterzett deckte den Mangel an satter Tiefe, aber auch das fehlende Stimm-Volumen der Kozena auf, obwohl sie diese Nummer direkt an der Rampe sang. Am Schluss kassierte sie deutliche Buhrufe- für Salzburg eine Seltenheit. Micaela, als Carmens lichtes Gegenbild und als Symbolfigur für Josés Mutter, fand in Genia Kühmeier eine kongeniale Verkörperung. Völlig intonationssicher, mit glockenreiner Stimme, die größer geworden ist, sang sie sich in die Herzen des Publikums. Im Zusammenspiel mit Jonas Kaufmann, mit dem ich sie schon in München gehört habe, schenkte sie dem Publikum bewegende Momente: Ihr Duett mit José im 1. Akt war, von den Berliner Philharmonikern auch delikat begleitet, ein künstlerischer Höhepunkt des Abends. Jonas Kaufmann ist gegenwärtig der führende Vertreter der Rolle des Don José und befand sich, ebenso wie zuvor im Lied von der Erde, in stimmlicher Höchstform. Die lyrischen Stellen des ersten und zweiten Aktes und die Dramatik der beiden folgenden Akte bewältigte er gleichermaßen glanzvoll. Wer außer ihm ist schon imstande, ein Crescendo und ein Decrescendo auf dem hohen b der Blumenarie mit technischer Vollendung auszuführen ? Applaussalven und Bravogeschrei dankten ihm für seine gesanglich und darstellerisch vollendete Leistung. Bewunderungswürdig auch sein perfektes Französisch.

Dagegen hatte Kostas Smoriginas als Escamillo in einer Festspielausfführung nichts zu suchen. Das Torerolied mit seiner tückischen Tessitura, an der auch schon bedeutende Sänger gescheitert sind, wurde mit kleiner Stimme langweilig schülerhaft vorgetragen und Smoriginas unterlag auch im Kampf mit der französischen Phonetik. Im Spiel wirkte er denkbar harmlos: Man würde ihm nicht einmal das Abstechen eines Huhnes, geschweige denn eines wilden Stieres, zutrauen. Unter den Sängern der kleinen Rolle wäre nur der baumlange Christian van Horn als engagiert spielender und schön singender Zuniga hervorzuheben. Frasquita und Mercedes waren mit Christiana Landshamer und Rachel Frenkel sehr mittelmäßg besetzt. Wie Zwillinge gleich ausstaffiert, bewegten sie sich öfters auch im Gleichschritt und erinnerten mit ihren platinblonden Perücken und ihren Cocktail-Kleidern nicht an Zigeunerinnen, sondern an Jean Harlow.

Der Chor sang nicht gerade überwältigend und Sir Simon Rattle ist halt kein Operndirigent- dazu fehlt es ihm an jahrelanger Praxis auf diesem Gebiet. Französische Eleganz ist auch nicht gerade seine Sache, er war aber redlich, jedoch erfolglos bemüht , die stimmlichen Schwächen seiner Gefährtin Magdalene Kozena zu kaschieren. Im Lied von der Erde konnte er seine Fähigkeiten als ausgezeichneter Mahler-Dirigent zeigen, für Bizet sollte er den Taktstock aber besser nicht heben. Einige Buhrufe werden ihm den Abschied von Salzburg leicht gemacht haben.


 






 
 
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