Kleine Zeitung, 01.04.2012
ERNST NAREDI-RAINER
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012
 
Leise Töne im großen Festspielhaus
 
Zum Auftakt der letzten Salzburger Osterfestspiele mit den Berliner Philharmonikern dirigierte Sir Simon Rattle eine auf Leichtigkeit zielende Version von Bizets Oper "Carmen".
 
Diese Musik "schwitzt nicht", hatte schon der Philosoph Friedrich Nietzsche erkannt, als er Georges Bizets "Carmen" gegen Richard Wagners Musikdramen in Stellung brachte. Sein Urteil charakterisiert treffend die Intentionen des Komponisten, die heute meist unter knalligem Bombast begraben werden, um das Stück in die Nähe der Grand Opéra zu führen.

Bizet allerdings hatte sein Meisterwerk in der Tradition der Opéra comique komponiert. Das bezog sich nicht nur auf die Verwendung von Dialogen, sondern vor allem auf einen spezifischen Stil, der schweres Pathos durch trockene Leichtigkeit ersetzt und keine großen Stimmen fordert.

Exakt diesem Ideal näherte sich Sir Simon Rattle just im Großen Festspielhaus in Salzburg an, in dessen Orchestergraben die Berliner Philharmoniker nur in kleiner Besetzung Platz nahmen, um mit federnder Lockerheit extrem schlank und durchsichtig zu musizieren. Rattle malt nicht mit dem dicken Pinsel, sondern zeichnet mit dem Silberstift. Er setzt auf leichtfüßige Eleganz und bisweilen fast schon impressionistische instrumentale Finesse, er nimmt die vielen Pianissimo-Anweisungen der Partitur sehr ernst, führt das Orchester aber bisweilen auch zu geschmeidiger Kraftentfaltung.
Gelangweilte Beiläufigkeit

Mit ihrem verführerisch schönen, leichten Mezzosopran singt Magdalena Koena die Habanera mit fast schon gelangweilter Beiläufigkeit und behält bei ihrem Rollendebüt als Carmen diesen lockeren, leicht kapriziösen Chansonton weitgehend bei. Fern der üblichen Klischees geriert sie sich weder als Femme fatale noch als männermordender Vamp, sondern als selbstbewusste, stolze, fatalistische Frau.

Jonas Kaufmann, der derzeit weltweit gefragteste Don José, singt seinen Part mit enormer stimmlicher Bandbreite, die vom zarten Piano und der eleganten voix mixte bis zum kraftstrotzenden Bronzeton reicht. Genia Kühmeier hat mit der Micaela eine neue Paraderolle für ihren prachtvollen lyrischen Sopran gefunden und erntet für die innige Schlichtheit ihrer Interpretation den stärksten Beifall. Kostas Smoriginas, der 2007 den zweiten Preis beim Tagliavini-Wettbewerb in Deutschlandsberg gewonnen hat, bringt für den Escamillo alle erforderlichen Töne, aber zu wenig stimmliche Brillanz und Bühnencharisma mit. Wacker schlägt sich André Schuen vom Grazer Opernensemble mit seinem samtig-noblen Bariton als Moralès.

Aletta Collins und ihre Ausstatterinnen Miriam Buether (Bühne) und Gabrielle Dalton (Kostüme) verlegen die Handlung in die Zeit des spanischen Bürgerkriegs, um die starke Militärpräsenz zu rechtfertigen. Die Britin nützt ihre Erfahrung als Choreographin, um die Salzburger Breitwandbühne mit zwanzig Tänzern zu beleben, die keine folkloristischen Einlagen bieten, sondern Atmosphäre schaffen. Abgesehen von der als zusätzliches Motiv für seine Desertion dienenden Zutat, dass Don José im zweiten Finale seinen Leutnant Zuniga erschießt, erzählt die Regisseurin das Geschehen durchaus geradlinig und plausibel, mit einigen überflüssigen (Riesenmasken im vierten Akt) sowie einigen entzückenden Einfällen wie der Warteschlange vor dem Einlass zur Stierkampfarena.

Acht Minuten einmütiger, aber nicht euphorischer Beifall.














 
 
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