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Der Tagesspiegel, 19.2.2012 |
Von Christine Lemke-Matwey |
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Liederabend, Berlin, Philharmonie, 17. Februar 2012 |
Weltherzschmerzpathos
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Die Phänomenologie des Erfolgs: Jonas Kaufmanns Liederabend in der
Berliner Philharmonie. Im Idealfall führt ein solcher Abend dazu, wenigstens
eine Handvoll Zuhörer zum Lied zu bekehren.
Wann ist ein
Konzert ein Erfolg? Wenn das Publikum rast und spätestens nach der dritten
Nummer innerlich auf den Stühlen steht – und es nach der 22. Nummer dann
tatsächlich tut. Wenn Fans sich aus dem Tumult lösen, mit Blümchen in Händen
oder ganzen Bouquets, und nach vorne ans Podium stürzen. Eine Dame übergab
an diesem Abend zwei putzige Stoffstörchlein, „un souvenir d’Alsace“, wie
sie betonte, um allen weiterreichenden Assoziationen vorzubeugen. Zum
wahrlich bombastischen Erfolg aber wird ein Konzert erst, wenn den
Interpreten die Zugaben ausgehen. Sechs Strauss-Lieder hatten der Tenor
Jonas Kaufmann und sein Pianist Helmut Deutsch vorbereitet („Zueignung“
inklusive), als siebte blieb dann nur noch ein kleiner Lehár übrig, aus
Noten gesungen.
Und ein glückliches, sich befreit herzendes
Künstlerpaar.
Ein Liederabend freilich darf schon als großartiger, ja
bombastischer Erfolg gelten, wenn er die Reihen der Berliner Philharmonie so
proper füllt, wie Kaufmann und Deutsch dies gelingt. Andere Musikmetropolen
(Wien, München, London) haben traditionell ein Liederabend-Publikum – Berlin
hat das nicht, oder wenn, dann eines, das sich auf kleinere und kleinste
Säle beschränkt. Initiativen wie der TV-kompatible „Dasch-Salon“ im
Radialsystem, Thomas Quasthoffs Wettbewerb „Das Lied“ oder die neu
aufgelegte Reihe „Ein Abend mit ...“ im Konzerthaus versuchen an diesem
schlechten Ruf seit geraumer Zeit zu sägen. Löblicherweise.
Nur
leider hat die Tatsache, dass Kaufmann im Gegensatz zu so gestandenen
Kollegen wie Matthias Goerne, Christian Gerhaher, Angelika Kirchschlager
oder Mark Padmore große Säle füllt, weniger mit dem Lied zu tun als mit dem
Latin- Lover-Image des deutschen Tenors – und entsprechend plakativen
Marketing-Strategien. The Lied doesn’t sell? Bei einem Star wie Kaufmann
spielt das keine Rolle, er kann machen, was er will – auch Lieder singen
(stimmhygienisch ist das zwischen dem nächsten Don José in Salzburg und
Wagners Siegmund an der Met ohnehin nur klug). Und so prustete und röchelte
sich das Berliner Publikum denn tapfer durch die vier Gruppen mit Liszt,
Mahler, Duparc und Richard Strauss hindurch, wild zu allem entschlossen.
Im Idealfall führte ein solcher Abend dazu, wenigstens eine Handvoll
Zuhörer zum Lied zu bekehren: zu den gebrochenen Zauberfarben eines Henri
Duparc, zum Weltherzschmerzpathos der Mahlerschen Rückert-Vertonungen. Dafür
allerdings hätte Jonas Kaufmann nicht nur Jonas Kaufmann sein müssen und ein
vollimprägnierter Podiums-Profi, sondern wirklich gut. Fähig, sein Herz auf
den Tisch des Hauses zu legen, bereit, seine Seele zu zeigen. Und das wollte
oder konnte er in der Philharmonie nicht.
Wer nur eine blasse
Hörerinnerung an Liszts „Vergiftet sind meine Lieder“ oder an die
Melancholie in „Ihr Glocken von Marling“ hat, erschrickt gleich zu Beginn:
Vor der groben Kelle, die Kaufmann stilistisch ansetzt; vor der
Beschränktheit seiner sängerischen Mittel; und vor dem Fehlen fast jeglicher
Imagination. Was Kaufmann singt, scheint sein Timbre nicht im Geringsten zu
affizieren, als würde eine innere Schranke den emotionalen Verkehr regeln.
Liebe, Tod, Begehren, schlechtes Wetter – sein an sich schöner, baritonal
gefärbter Tenor bleibt immer gleich: metallisch-heldisch in den gern
aufgesuchten exponierten Höhen, eher verschattet in der Mittellage,
durchwegs dunkel in den Vokalen, sehr gut textverständlich. Dass die
Wagner-Singerei Spuren hinterlässt, merkt man an Kaufmanns kruder
Pianotechnik: halb messa di voce, halb Flageolett, ein hauchiges, hoch
artifizielles Sich- Herumschummeln ums Leise, Zarte, Wenige. Mahlers „Liebst
du um Schönheit“ wirkt so regelrecht markiert, und spätestens beim dritten
Mal ist es mit dem Einsatz solcher Effekte ohnehin vorbei.
Sobald es
balladesker, narrativer wird, tut Kaufmann sich leichter. In Liszts „Es war
ein König in Thule“ oder so manchem Strauss’schen Wald- und Wiesenlied weiß
er sich gestisch zu behelfen, spielt, illustriert. Das lockt regelmäßig
sogar Helmut Deutsch aus der Reserve, der zwar sehr kundig seines Amtes
waltet, aber auch sehr zurückhaltend, fast homöopathisch.
Am
eindrucksvollsten gelingt den beiden Duparcs „Chanson triste“ – weil
Kaufmann hier alles ängstliche Kraftmeiern vergisst und sich dem Lyrischen
ergibt: Jenem Ausdruck, der ist und keiner zirzensischen Herstellung bedarf.
Das könnte überhaupt ein Weg sein, wenn es Kaufmann ums Lied ernst wäre: Das
Heil weniger bei den spätromantischen Schlachtrössern zu suchen (die oft
genug Orchesterbegleitung verlangen!) als bei Schubert, Schumann, Brahms.
Lernen, auch ohne Kostüm Bekenntnisse abzulegen.
Wann ist ein Abend
ein Erfolg? Wenn die Kritik mäkelt. Das alte Spiel. Spielen wir es noch ein
bisschen weiter. Die Sache hat es verdient.
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