Der Neue Merker
Ursula Wiegand
 
Liederabend, Berlin, Philharmonie, 17. Februar 2012
BERLIN/ Philharmonie: UMSUNGEN – LIEDERABEND JONAS KAUFMANN
 
Die Berliner verblüffen sogar Jonas Kaufmann, 17.02.2012
 
Nach der siebten Zugabe ist der weltweit gefragte Startenor etwas ratlos. „Darauf war ich nicht vorbereitet,“ räumt Jonas Kaufmann mit jungenhaftem Charme nach diesem großartigen Liederabend, betitelt „UMSUNGEN“, freimütig ein.

Offenkundig hat er das Publikum mit der Schönheit seiner Stimme und der Delikatesse der Liedgestaltung nicht nur umsungen, sondern umgarnt. War er im offiziellen Teil noch ganz der hochkonzentrierte, ernsthafte Künstler, so explodiert er bei den Zugaben und zeigt nun auch sein schauspielerisches Talent.

Die sonst so beifallsfaulen Berliner kennen kein Halten mehr. Sie klatschen sich die Hände heiß und quittieren jede Zugabe, davon 6 Lieder von Richard Strauss, mit einem Jubelschrei. Eine Stimmung fast wie im Popkonzert, die Jonas Kaufmann und auch Helmut Deutsch, seinen Partner am Flügel, überrascht und überwältigt. Eigentlich wollen die Berliner die Umschwärmten gar nicht mehr weglassen.

Die beiden beraten sich, und Kaufmann schlägt zu guter Letzt „einen Deal“ vor. Er würde jetzt etwas singen, was er noch nicht richtig geübt habe und müsse dabei Helmut Deutsch über die Schulter schauen (d.h. auf die Noten). Gesagt, getan. Neben dem Pianisten stehend schmettert er, nicht ohne leichte Ironie, den Lehár-Hit: „Gern hab’ ich die Fraun geküsst“.

Da schmelzen in der Philharmonie nicht nur die Damen jeden Alters dahin wie der letzte Schnee auf den Straßen. Die Begeisterung ist allgemein und ungewöhnlich lautstark. Also noch einmal Bravi und stehende Ovationen.

Wieder und wieder klopfen die beiden Künstler-Freunde einander anerkennend auf den Rücken und umarmen sich glücklich. Welch ein grandioser Abend, vielleicht auch für die Interpreten. Der Wiener Helmut Deutsch ist erstmals bei einem Konzert der Stiftung Berliner Philharmoniker zu erleben. Hoffentlich kommen beide bald wieder.

Zurück zu „UMSUNGEN“, dem eigentlichen Programm. Hier agiert Helmut Deutsch als kongenialer Partner des Sängers. Seinem ausdrucksstarken Klavierpart zu lauschen, seine Fingerfertigkeit zu bestaunen, ist ein Vergnügen an sich. Seine gekonnt gesetzten Akzente animieren Kaufmann, das noch zu überbieten.

Beide werfen sich die Bälle zu, zunächst bei sechs Liedern von Franz Liszt. Dass der Tastenlöwe Liszt dem Klavierpart eine beinahe ebenso große Bedeutung wie dem Gesang zuordnete, wundert nicht. Die nuancierte Fassung seiner kurzen Stücke auch nicht. Sie wirken wie kleine Szenen, fast opernhaft, und sind so bei Kaufmann in bester Kehle.

Kräftig und herb, Liszts Liebeskrise andeutend, gleich der Beginn mit „Vergiftet sind meine Lieder“ (2. Version von 1859). Lyrisch dagegen „Ihr Glocken von Marling“ (1874) mit dem Schlusswunsch „Behütet mich gut!“ Zum Höhepunkt der Liszt-Lieder wird „Es war ein König in Thule“ (2. Version, 1856). Kaufmann bringt das kernig und beglaubigt die Trauer des alten Monarchen auch durch Mimik und Gesten.

Einen deutlichen Kontrast stellen die folgenden 5 Mahler-Lieder dar. Beim romantischen „Ich atme einen linden Duft“ gelingen Kaufmann die extremen Höhen ebenso wie ein „sprechendes“ Piano. Sehr ernst dann das bekannte „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ und schließlich das dramatische „Um Mitternacht“, das Mahlers Herzkrankheit thematisiert. Die Schmerzen und Ängste des Leidenden sind ebenso herauszuhören wie das Sich-Ergeben in Gottes Hand. Auch das fast eine Opernszene. Danach erhält er die ersten Bravos.

Eine Entdeckung sind zweifellos die selten zu hörenden Lieder von Henri Duparc (1848-1933). Mit nur 37 Jahren musste der Franzose das Komponieren wegen einer Nervenkrankheit aufgeben, doch sein kleines Œvre zeigt meisterhafte Züge. Seine Melodien verbinden sich mit den Texten, die im literarisch orientierten Frankreich einen eigenen Stellenwert besitzen, insbesondere mit denen des Dichters Charles Baudelaire, die durch ungewöhnliche Reime auffallen.

Kaufmann singt die Stücke auf Französisch und auswendig, und schon das lässt erkennen, wie sehr ihm an diesen Liedern liegt. Mit seiner Stimme formt er sie zu farbigen Edelsteinen. Im letzten der 5 Stücke „La Vie antérieure“ (Das frühere Leben), hört man beim Klavierpart das Rauschen des Meeres, während Kaufmann die Wahnvorstellungen des Künstlers gesanglich greifbar macht. Eine Komposition, bei der seine Stimme voll zur Geltung kommt.

Schluss- und Höhepunkt des offiziellen Teils werden 6 Lieder von Richard Strauss. Im Grunde genommen wissen die Zuhörer Bescheid und klatschen nicht nach jedem einzelnen Stück. Doch das Lied „Schlechtes Wetter“, von Kaufmann mit viel Humor interpretiert, verlockt nach den Wetterkapriolen der jüngsten Zeit doch zu amüsiertem Zwischenbeifall.

Dem mit heldischem Timbre gestalteten Lied „Heimliche Aufforderung“, folgt das ganz verhaltene, wunderschöne „Morgen“ und dann als krönender Schluss das temperamentvolle „Cäcilie“, das erneut seinen Tenor aufblühen lässt. Eine intelligent gewählte Reihenfolge, nicht nur bei den Strauss-Liedern, und ebenso intelligent gestaltet. Eine Sternstunde.

Bleibt nur eine Frage: Wann nimmt ein Berliner Opernhaus genug Geld in die Hand, damit wir Jonas Kaufmann auch mal live auf der Opernbühne erleben, und zwar nicht nur konzertant, sondern in einer kompletten Aufführung, in der er sein Schauspielvermögen ebenfalls beweisen kann? Berlin wird ihn dann sicherlich mit genau solchem Beifall verblüffen.






 
 
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