Opernglas, September 2012
M. Wilks
 
Strauss: Ariadne auf Naxos, Salzburger Festspiele, 29. Juli 2012
 
Ariadne auf Naxos
 
 
Intendanten, die in der Öffentlichkeit eher als Kultur-Finanzmanager denn als Künstler wahrgenommen werden, genießen oft einen umstrittenen Ruf. Zur Eröffnung der Salzburger Festspiele wurde der neue Chef Alexander Pereira beispielsweise auf der Titelseite der Salzburger Landeszeitung mit der Karikatur „Der Sponsorfänger bin ich ja..." gewürdigt. Immerhin hat Pereira im Vorwort des umfangreichen Opernprospektes der Festspiele zunächst ausführlich über finanzielle Grundgedanken referiert, bevor er auf künstlerische Überlegungen kam. So gesehen überraschte es nicht, dass diese Personalie in Österreich leidenschaftlich diskutiert wurde und man sich fragte, ob sein Zürcher Erfolgsmodell übertragbar auf die Festspiele sei. Aber wie so oft in der Realität lassen sich Kunst und Finanzen nicht trennen, zumal in Salzburg mit dem nochmals ausgeweiteten Sponsorenengagement eine Erhöhung der Vorstellungszahl, teilweise hervorragende Auslastungszahlen und etliche engagierte Projekte einhergehen.

Typisch für die von Pereira beschworene Einmaligkeit von Festspielen war in diesem Sommer die Premiere von Richard Strauss' »Ariadne auf Naxos«. Gespielt wurde aber nicht die gewohnte Version, sondern die nahezu vergessene, exakt 100 Jahre alte Urfassung. Sie unterscheidet sich vor allem im ersten Teil von der Endfassung: also kein durchkomponiertes Vorspiel, sondern vorab Hofmannsthals Bearbeitung von Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann", episodisch untermalt von Strauss' gleichnamiger Orchestersuite. Nicht nur wegen inhaltlicher Schwächen und Längen, sondern vor allem auch wegen der umständlichen Verquickung von Oper, Schauspiel und Ballett ist die Urfassung der »Ariadne« im Theateralltag kaum realisierbar und somit primär ein Festspielwerk.

Salzburgs neuer Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf hatte erfreulicherweise eine Lösung gefunden, um die Urfassung inhaltlich aufzuwerten: Er reicherte den alten Molière um eine weitere Ebene an zu einem 90 Minuten langen, meistens stringenten und kurzweiligen, manchmal auch klamaukhaften Spaß. Im Mittelpunkt steht Hugo von Hofmannsthal, der seiner Angebetenen, der Witwe Ottonie, eine neue Oper vorstellt, die auf Molières „Bürger als Edelmann" basiert: »Ariadne auf Naxos«. Dabei erzählt er so begnadet und plastisch, dass vor Ottonies und Hugos Augen die Geschichte um den reichen, aber ungebildeten Monsieur Jourdain scheinbar real wird. Viel schlüssiger als in den meisten Produktionen kann man nun nachvollziehen, warum das mythische Trauerspiel mit Ariadne und die Tanzmaskerade mit Zerbinetta gleichzeitig ablaufen müssen. Es handelt sich keinesfalls um die Willkür des reichsten Mannes von Wien, sondern erklärt sich aus der mangelnden Kultiviertheit des Jourdain, der mit der Theateraufführung eine Frau beeindrucken will und nun Hals über Kopf gewisse Änderungen einfordert. Sogar die vermeintlich provokanten Momente (wenn Jourdain in Ariadnes Solonummern hineinposaunt oder die düstere Stimmung beklagt) waren irgendwie passend. Dass die strikte Trennung vom Personal der Oper und des Vorspiels aufgehoben war, bereicherte Strauss' und Hofmannsthals Grundidee vom Spiel mit den Genres und Charakteren als Theater auf dem Theater.

Regina Fritsch (Ottonie), Michael Rotschopf (Hofmannsthal), Cornelius Obonya (Jourdain), Thomas Frank (Komponist) und Peter Matic (Haushofmeister) spielten ihre Rollen in festspielreifer Präsenz und brachten Bechtolfs Konzept zum Funktionieren. Mit einem repräsentativen, geschickt veränderbaren Raum und pfiffigen Kostümen bieten Marianne und Rolf Glittenberg den perfekten Rahmen für ein zugleich kulinarisches wie intelligentes Opernvergnügen, unter anderem mit drei auseinandergebauten Konzertflügeln als wüste Insel. Regisseur Bechtolf hat nicht nur mit den Schauspielern, sondern auch mit den acht Tänzern (Choreografie: Heinz Spoerli) und den Sängern an der Personenführung gefeilt und liebevoll viele Details in die Handlung eingebaut - zum Vorteil für die schwäche-en Passagen des Werkes. Dass die Regie der Beziehung zwischen den Seelenverwandten Hofmannsthal und Ottonie einen bislang in dieser Intensität noch nicht so gesehenen Stellenwert für die Entstehung der »Ariadne« zuspricht und Ottonie gar als Vorbild für die trauernde Ariadne deutet, dürfte die Rezeptionsgeschichte des Werkes bereichern und zu neuen Überlegungen anregen.

Beworben wurde diese »Ariadne«-Produktion aber nicht nur als spartenübergreifendes Festspielprojekt, sondern auch mit dem Bacchus-Debüt von Jonas Kaufmann. Nach einigen Absagen war der Tenor nun wieder da und meisterte die gefürchtete Rolle in bestechender Form. Da war nichts von den Klippen zu spüren, die man bei den meisten anderen Tenören bemerkt. Von Daniel Harding am Pult der Wiener Philharmoniker bekam Kaufmann die perfekte Unterstützung, damit sein Tenor immer gut zu hören war und er hinreichend differenzieren konnte. Nicht unterschlagen werden soll, dass er nicht nur mit seinem selbst im Piano heldisch timbrierten, bronzefarbenen Tenor eine gute Figur machte, sondern auch im Leopardenanzug. Elena Mosuc war als Zerbinetta, um es in den Worten des Harlekin zu sagen, ein „entzückendes Mädchen" und damit vielleicht eine Spur zu unkokett und in der Textbehandlung oft zu undeutlich. Ovationen verdiente sie sich jedoch in der Szene „Großmächtige Prinzessin" mit einem Feuerwerk an elegant bewältigten Koloraturen, die in der Urfassung aberwitziger ausfallen als in der bekannten Version. Grundsolide besetzt war die Ariadne mit Emily Magee, die ihren charakteristisch gefärbten Sopran gekonnt durch die Noten führte, aber nur selten für stimmlichen Glanz oder eine vorbildliche Diktion sorgte. Marie-Claude Chappuis (Dryade), Eleonora Buratto (Echo) und vor allem Eva Liebau (Najade) gefielen als Nymphen, aus der Komödiantentruppe ragten Gabriel Bermúdez (Harlekin) und Tobias Kehrer (Truffaldin) heraus, doch auch Michael Laurenz (Scaramuccio) und Martin Mitterrutzner (Brighella) überzeugten.

Die Wiener Philharmoniker begannen den Premierenabend etwas unkonzentriert, ließen aber recht bald ihre Kompetenz erkennen und begeisterten mit klangvollen Soli. Harding setzte die komödiantischen Momente deutlich von Ariadnes Klangwelten ab und differenzierte sorgfältig zwischen subtiler Klangkultur und einem energisch packenden Zugriff, wobei ihm der elegante Strauss weniger lag. Ein langer und mit fast vier Stunden Spieldauer anstrengender Abend ging mit Bravojubel, rhythmischem Beifall und nahezu einstimmiger Begeisterung für das Regieteam zu Ende.
 














 
 
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