NZZ, 31.7.2012
Peter Hagmann
 
Strauss: Ariadne auf Naxos, Salzburger Festspiele, 29. Juli 2012
 
Wo alles zu allem kommt
 
 
Schauspiel, Oper und Tanz miteinander – das war die Idee von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. In dieser selten gespielten ersten Version ist «Ariadne auf Naxos» bei den Salzburger Festspielen herausgekommen. Eine Sternstunde.
 
Ob sie je ein Paar wurden, kann man nicht wissen, es bleibt auch nach diesem ebenso bewegenden wie unterhaltsamen Abend im Kleinen Haus der Salzburger Festspiele offen. Sie, das sind Hugo von Hofmannsthal, verheiratet, und die Gräfin Ottonie von Degenfeld-Schonburg, verwitwet. Hingebungsvoll kümmert sich der Schriftsteller um die junge, anmutige Frau, die nach des Gatten Tod untröstlich scheint, aus der Zuwendung wird bald mehr, von beiden Seiten, aber sie will doch nicht wirklich (oder noch nicht wirklich), und er kann nicht wirklich (oder nur fast wirklich). Briefe werden getauscht, die alles sagen, nur das eine nicht, und schliesslich schreibt der Autor der Angebeteten gar ein Stück, in dem geht es um eine soeben verlassene, man kann auch sagen: frisch verwitwete Frau, die auf eine neue Liebe stösst, sie hartnäckig zurückweist – und am Ende doch in ihr versinkt.
Mehrspartenfestival

Vordergründig war es natürlich anders. Wollten Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss dem grossen Max Reinhardt, der ihnen aus einer Patsche geholfen hatte, ein Zeichen der Dankbarkeit setzen: mit einem Stück in früher Multimedialität. Schauspiel, Oper und Tanz sollten auf ein und derselben Bühne zusammenkommen, und alles sollte dabei vom Feinsten sein. So schrieben die beiden den Operneinakter «Ariadne auf Naxos», während Hofmannsthal den «Bourgeois gentilhomme» von Molière dergestalt einrichtete, dass die Aufführung der Oper als Theater im Theater Teil des Schauspiels werden konnte. Als Abendunterhaltung nämlich bei dem von Molière erfundenen neureichen Bürger Jourdain, der fürs Leben gern in adligen Kreisen verkehrt, dort aber bloss seines Geldes wegen beachtet wird. Die mit mannigfachen Schwierigkeiten verbundene Uraufführung im Kleinen Haus des Hoftheaters Stuttgart 1912 geriet zu einem glanzvollen Fiasko.

Auf der Bühne erscheint das selten. Die Partien sind durchwegs anspruchsvoll, schauspielerisch, tänzerisch wie musikalisch, da braucht es ein hochstehendes Mehrspartenhaus. Mit Oper und Konzert auf der einen Seite sowie dem Schauspiel auf der anderen sind das die Salzburger Festspiele – seit diesem Sommer erst recht, denn der neue Intendant Alexander Pereira hat seinen ehemaligen Ballettdirektor Heinz Spoerli aus Zürich mitgebracht. So kommt «Ariadne auf Naxos» hier nicht in der üblicherweise gespielten zweiten Version von 1916, die Hofmannsthal und Strauss als fast reines Musiktheater eingerichtet haben, sondern in der Urfassung zur Aufführung – eine reizvolle Hommage an die Tradition wie die Besonderheit der Salzburger Festspiele.

Und mehr noch: Sven-Eric Bechtolf, der nicht nur Schauspieler ist, sondern auch Salzburger Schauspieldirektor und als solcher für die Inszenierung besorgt war, hat das Spiel im Spiel vervielfacht, indem er die Hofmannsthal-Ottonie-Story eingebaut hat. Molières Komödie ist hier nicht, oder nicht nur, das Vorspiel zur Oper, sie zeigt nicht nur den Parvenu Jourdain, der bei sich zu Hause ein Musiktheater aufführen lässt, um eine frisch verwitwete Adlige zu umgarnen. Das Schauspiel ist vielmehr selber imaginiertes Theater – ausgedacht von Hofmannsthal für seine Ottonie, der er das Geschehen erzählt. Und je mehr er erzählt, desto mehr wird aus der Erzählung das Stück selber – und desto mehr sehen sich der Erzähler wie seine Angebetete als Figuren in das Stück hineingezogen. Zwischendurch treten sie auch wieder heraus, vor allem Ottonie, die sich über allzu deutliche Anspielungen an sie selber beklagt. Doch immer mehr zieht es sie hinein: Wenn Ariadne in der Oper ihr Schicksal beklagt, liegt Ottonie im gleichen Kostüm neben ihr am Boden – und als ob das nicht genug wäre, sitzt eine dritte Ottonie im Publikum. Auf der Bühne natürlich.

Das wird alles ganz wunderbar dargeboten. Rolf Glittenberg hat einen hellen grossbürgerlichen Saal gebaut, dessen hohe Fenster auf einen Garten mit alten Bäumen hinausgehen. Und da treten sie nun auf: Michael Rotschopf alias Hofmannsthal und Regina Fritsch als die verwitwete Gräfin Ottonie – Marianne Glittenberg hat die beiden akkurat so eingekleidet, wie sie uns auf Fotografien entgegentreten. Dazu kommen Cornelius Obonya als der grenzenlos unkultivierte, unsäglich streberische Jourdain, Thomas Frank als der (ganz wie Strauss selber) aufbrausende Komponist und, vor allem, Peter Matič als der snobistische Haushofmeister. Gewiss, das ist «Jedermann»-Theater, mag ältlich erscheinen und lebt, gerade bei Jourdain, von knalliger Charge. Die Einrichtung des Textes ist aber ausgezeichnet gemacht, auch witzig in den frechen Anspielungen an den Betrieb, von denen man nicht weiss, stammen sie jetzt von Molière, Hofmannsthal oder Bechtolf.
Das Nebeneinander der Künste

Die Oper selbst, sie wird anfangs gestört durch den Auftraggeber, der seinem Unmut so laut Luft macht, dass es beim Publikum, dem wirklichen im Saal, zu Zwischenrufen kommt. Später greift die Truppe um Zerbinetta ein, und da schlägt die Stunde für Elena Moşuc, die ihre lange, schwere Arie fulminant hinlegt. Emily Magee gibt die Ariadne mit vollem Ton und gleichwohl anrührend – und da, im Nebeneinander der Sängerin und der Schauspielerin, den Unterschied der Künste zu erleben, ist einzigartig. Jonas Kaufmann als Tenor, Bacchus und Hofmannsthal ist wieder ganz bei Stimme, nur schluchzt der Sänger mehr denn je, nämlich entschieden zu viel. Ausgezeichnet besetzt auch die kleineren Partien und jene der Tänzer. Während die Wiener Philharmoniker und der Dirigent Daniel Harding in kleiner Besetzung, dafür mit Harmonium, das aparte Klangbild von Straussens Partitur in bestes Licht setzen. Am Ende, da darf man eine Träne wegwischen, küssen sie sich doch, Hofmannsthal und seine Ottonie; sie streben dem Hintergrund zu – und gehen dann ihre eigenen Wege.













 
 
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