Augsburger Allgemeine, 31. Juli 2011
Stefan Dosch
Konzert, München, Königsplatz, 29. Juli 2011
Opern-Spektakel in München: Ein Kuss am rechten Platz
 
 
Wahrscheinlich lag es an der kühlen Witterung, dass erst gegen Ende im Publikum hörbare Begeisterung für die Opern-Stars aufkam. Anna Netrebko mag es gespürt haben.

München Anna nicht in den Armen von Erwin, sondern auf Tuchfühlung mit einem anderen? Was dem Boulevard eine Schlagzeile wert wäre – Krise beim illustren Sängerpaar Netrebko/Schrott! –, ist jedoch der Opernkonvention geschuldet. Denn die romantische Oper (mitsamt ihren Verwandten) will nun mal keinen anderen als den Tenor an der Seite der Primadonna sehen. Und so rückt im Duett „Toi! Vous!“ aus Jules Massenets „Manon“ eben der in hoher Stimmlage singende Jonas Kaufmann eng heran an die Sopranistin Anna Netrebko – und nicht deren Angetrauter und Kindsvater Erwin Schrott, der leider ein Bassbariton ist.

Mit solchen Pikanterien spielt natürlich das „Gipfeltreffen der Stars“, das Münchner Königsplatz-Freiluftkonzert der weit über die Operngemeinde hinaus bekannten Vokalartisten Netrebko, Kaufmann, Schrott. Und doch war der Auftritt der drei Sänger keineswegs als bloßes Spektakel inszeniert, präsentierte die Programmauswahl den rund 15000 Zuhörern keineswegs bloß die üblichen Wunschkonzert-Arien. Ein Schwerpunkt war der französischen Oper gewidmet, gleich dreimal waren Ausschnitte aus Charles Gounods „Faust“ zu hören.

So hatte denn auch die Netrebko ihren ersten Auftritt mit der Juwelenarie der „Faust“-Marguerite („Ah! Je ris de me voir“), accompagniert von Publikums-Entzückenslauten, welche nicht zuletzt ihrer zunächst gelb (und nach der Pause blau) schimmernden Robe gegolten haben dürften. Wirklich in Bann zu schlagen aber vermag die Russin auf anderem Gebiet, kommt ihrer Stimme doch nach wie vor der Rang einer Ausnahmeerscheinung im Fach der lyrischen Soprane zu. Berückend die Fülle, der Resonanzreichtum, der schiere Goldglanz, womit sie gerade in höheren Regionen aufzuwarten vermag. Fabelhaft die Kontrolle über das Organ, wenn sie bei hoch angesetzten Tönen die Stimme langsam zurücknimmt, etwa in der „Miserere“-Szene der Leonora aus Verdis „Trovatore“. Und natürlich leuchtet diese Stimme auch in der Mittellage in warmen, kraftvollen Farben.

Das Raubtier im Mann

Wer es noch nicht wusste, dass Erwin Schrott mehr ist als der Mann an der Seite einer famosen Sängerin, der erhielt an diesem Abend Nachhilfe. Der aus Uruguay stammende Bassbariton verfügt über prachtvolles Stimmmaterial mit kernig-maskuliner Schwärze, die einhergeht mit eindrucksvoller Beweglichkeit und einer frei im Brustregister sich entfaltenden Höhe. Diesem Stimmtyp liegen natürlich trist bis finster eingefärbte Partien wie die Arie des Banco „Come dal ciel precipita“ aus Verdis „Macbeth“ oder die Auftritte des Méphistophèles im „Faust“ von Gounod (darunter „Le veau d’or est toujours debout“). Leporellos Registerarie aus Mozarts „Don Giovanni“ dagegen gerät ihm fast ein wenig zu aufreißerisch: Schrott, der auch den Protagonisten dieser Oper im Repertoire hat, klingt, wenn er unverhohlen raubtierhaft die Vorzüge der Frauen verschiedener Nationen aufzählt, mehr nach Giovanni als nach dessen Diener Leporello.

Ist Erwin Schrott gerade abgetreten und vernimmt man gleich darauf Jonas Kaufmann, so ist, trotz verschiedener Stimmgattungen, nicht zu überhören, dass der Münchner beim Herstellen seines Tons weitaus mehr Kraft einsetzen muss, dass er sich weniger vom Atem tragen lässt als sein Kollege von der tieferen Abteilung. Verhauchter klingt sein Ansatz, wenn er zu „Cielo e mar“ (aus Ponchiellis „La Gioconda“) anhebt. Freilich: Kaufmann ist ein außerordentlicher Rollengestalter, der durchwegs höchste Emphase in seine Stimme legt und dadurch mitreißende Wirkung entfaltet. Die Musik des Verismo wie geschaffen für ihn, Stücke wie Turiddus „Mamma, quel vino è generoso“ aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“. Sängerisch aber bleibt Kaufmann limitiert, wie sein Richard-Tauber-Lied „Du bist die Welt für mich“ zeigt, an dessen leise intoniertem Schluss er, statt dem Klang gehörig Brustanteile beizumischen, doch sehr in die Kopfstimme ausweichen muss.

Herzenswärmer an einem kühlen Abend

Am Materialaufwand für dieses Großereignis war nicht gespart worden, und so fand sich unterm Bühnenzelt nicht nur ein groß besetztes Orchester in Gestalt der saftig, wenn auch manchmal etwas robust musizierenden Prager Philharmoniker unter dem agilen Marco Armiliato, sondern auch der Philharmonische Chor München, der in einigen Opernszenen hinzutrat und damit das Programmspektrum erweiterte. Wahrscheinlich lag es an der zwar trockenen, aber doch kühlen Witterung, dass erst gegen Ende des zweiten Teils im Publikum hörbare Begeisterung aufkam. Anna Netrebko mag es gespürt haben, vielleicht gab sie deshalb den Zigtausenden auf den Heimweg noch einen rechten Herzenswärmer mit, „O mio babbino caro“ aus Puccinis „Gianni Schicchi“.

Zuvor übrigens, bei Gershwins „Porgy and Bess“, hatte sie dann doch noch in die richtigen Arme gefunden. Im Duett „Bess, you is my woman now“ gab es, von Großmonitoren bis in den hintersten Königsplatz-Winkel getragen, von Erwin für die Anna einen Kuss.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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