Der Neue Merker, 5. Juli 2011
Dr. Georg Freund
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 4. Juli 2011
FIDELIO mit Jonas Kaufmann am 4.Juli 2011
 
 
Nun habe auch ich eines der Wunderwerke von Calixto Bieito gesehen, der heute als innovativster Opernregisseur gilt. An ersten Häusern hat dieses Regie-Genie seine Leistungen bisher allerdings kaum sehen lassen, er beglückte damit vor allem Hannover, Frankfurt, Freiburg und Basel.

Fidelio spielt bei ihm in einem die ganze Bühne bis zum Schnürboden ausfüllenden Labyrinth aus Stahlstangen, Plexiglas und Leuchtstoffröhren. Vom Beginn der Ouvertüre ( Leonore III ) bis zum zweiten Finale kletterten nun die Protagonisten, Choristen und Statisten mit viel Krawall ununterbrochen in diesem Aufbau herum. Die Mitwirkenden trugen Sicherungsgürtel, wie man sie früher zum Fensterputzen anlegte. An diesen Gürteln hingen Stahlseile mit großen Karabinerhaken. Jedesmal nach Ersteigung einer Plattform des Bühnenbildes wurden die Karabiner in Sicherungsseile eingeklinkt. Ich nehme an, da hat die bayerische Version unseres Arbeitsinspektorates ein Machtwort gesprochen, denn das ewige Anhängen und Ausklinken der Karabiner wirkte höchst lächerlich und wegen des damit verbundenen Geräusches auch sehr störend. Besonders schlimm war es, wenn der ganze Chor- sehr wohlgenährt und etwas stimmschwach- seine Karabiner einschnappen ließ. Im allgemeinen schwankten Choristen und Statisten wie Zombies einher, bisweilen aber begannen sie – vor allem während der Ouvertüre – so zu hüpfen, dass der ganze Bühnenaufbau wackelte und krachte. Einige Zombies hingen sogar an Seilen vom Schnürboden herunter und vollführen Schwimmbewegungen wie die Rheintöchter. Die Kostüme für alle könnten aus einer Altkleidersammlung der Caritas stammen. Es ist auch sehr viel Kunstblut zu sehen, bei den vielleicht gefolterten Gefangenen ja noch einzusehen, aber warum hat eigentlich Jaquino ein blutverschmiertes Gesicht ? Erwartungsvoll sah ich dem Auftritt der Schergen entgegen und hätte darauf gewettet, dass sie Nazi-Uniformen tragen.würden. Tatsächlich erklang zwar der berühmte Marsch, aber kein einziger Soldat zeigte sich ! Bieixto kann halt Chor und Statisterie nicht sinnvoll bewegen und drückte sich deshalb um diese Szene. Selbstverständlich waren die Choristen zum Schlusstableau frontal aufgestellt wie für ein Oratorium.- eine sehr billige Lösung ! Trotz aller bizarrer Einfälle fand ich die Inszenierung aber keine Minute langweilig und das ist nicht wenig, Überraschend und ungewöhnlich, dass es keinerlei Unanständigkeiten zu sehen gab. Gerne wüsste ich auch, auf wen der Einfall zurückgeht, vor dem zweiten Finale als Einlage das Adagio aus Beethovens Streichquartettt „Danksagung eines Genesenden an die Gottheit“ spielen zu lassen. Die Ausführenden dieses Satzes wurden in Käfigen vom Schnürboden heruntergelassen…

Die gesprochenen Dialoge waren bis auf kleine Reste eliminiert und wurden durch hochtrabende Phrasen von Jorge Luis Borges ersetzt, die als „innere Monologe“ über scheppernde Lautsprecher zu hören waren. Einige Sänger benützten doch tatsächlich Mikrophone, vor allem Leonore in Gestalt von Anja Kampe. Als Tannhäuser-Elisabeth in Wien erhielt sie bekanntlich vernichtende Kritiken. Ich war sehr erstaunt, dass ihr die wesentlich schwierigere Leonore viel besser gelang, vor allem weil sie ihr störendes Vibrato unter Kontrolle hatte. Natürlich ist Kampes Stimme für diese Rolle viel zu klein Höhen wurden, wenn überhaupt, nur mit größter Anstrengung erreicht und im tieferen Register gab´s nur heiße Luft.

Gottlob hatten die übrigen Sänger ein anderes Niveau: Jonas Kaufmann brillierte mit herrlichem Timbre als Florestan. Sein bei „Gott welche Dunkel hier“ im Piano angesetzter Schwellton auf dem hohen g, den er in einer Fermate bis zum Fortissimo steigerte, wird allen die ihn hören durften, unvergesslich bleiben. Auch die übrigen Passagen seiner leider nur allzu kurzen Rolle waren mit vollständiger technischer Sicherheit gesungen und das obwohl der Regisseur ihm zumutete, während seiner Arie- eine der anspruchsvollsten der Opernliteratur- eine Eisenstange zu erklettern, sich während der Ensembles an den Füßen über die Bühne schleifen, sich mit einer Kravatte fesseln zu lassen etc. Der Charakter des Florestan war übrigens der einzige, der Profil gewann. Offensichtlich hat nach diesem Regie-Konzept Florestan im Gefängnis den Verstand verloren, denn er kauerte in den kurzen Perioden, in denen er in Ruhe gelassen wurde, fast katatonisch mit gesenktem Kopf auf der Bühne und frisierte seine Locken manisch mit einem Kamm. Dann hatte er wieder einige lucida intervalla, etwa wenn er währendes Duettes „o namenlose Freude“ den himmelblauen Pyjama, den er seltsamerweise als Gefängniskluft trug, gewandt mit einem dreiteiligen Anzug vertauschte. Wem außer Kaufmann könnte es gelingen, derartige Regieeinfälle umzusetzen ohne dabei im mindesten lächerlich zu wirken, ja damit sogar zu berühren ?

Ausgezeichnet der in Wien viel zu selten eingesetzte Franz- Josef Selig, der den Kerkermeister Rocco mit balsamischem Bass sang und Wolfgang Koch, für dessen wunderschönen, kräftigen Bariton Don Pizarro wiederum eine ideale Rolle darstellte. Der blutjunge Jussi Myllis sang mit sehr angenehmer Stimme einen hervorragenden Jaquino. Gerade in dieser Partie hört man sonst viel zu oft kopfig meckernde Tenöre, die so klingen, als hätte man sie einer kleinen aber folgenschweren Operation unterzogen. Von Myllis wurden auch geradezu halsbrecherische Kletterkunststücke virtuos ausgeführt – er könnte damit glatt in einem Zirkus auftreten. Steven Humes in der Maske des seligen Filmstars Heath Ledger als Joker klang etwas trocken. Einen Minister als Clown auftreten zu lassen, halte ich übrigens für einen guten, durchaus legitimen Regieeinfall ! Die in Wien gut bekannte Laura Tatulescu komplettierte nett als Marcelline.

Fabio Luisi hat Fidelio in München abgesagt, vermutlich zugunsten seiner Verpflichtungen an der MET. Für ihn sprang der wesentlich bessere Dirigent Adam Fischer ein, unter dessen umsichtiger Leitung das Orchester der Münchner Staatsoper gleich um Klassen besser klang als sonst. Etwa 10 Minuten Applaus und, obwohl keine Première, Buhrufe und Pfiffe für die Inszenierung.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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