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Der Tagesspiegel, 17.8.2011 |
Frederik Hanssen |
Konzert, Berlin, Waldbühne, 16. August 2011
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In allen Liebeslagen
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Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Erwin Schrott in der Waldbühne |
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„O Signora, Signorina / zärtlich klingt die Cavatina“ – in
diesem Operettenvers aus Franz Lehárs „Giuditta“ ballt sich
alles zusammen, was die 20 000 Fans von Anna Netrebko, Jonas
Kaufmann und Erwin Schrott am Dienstagabend an Erwartungen mit
in die Waldbühne bringen. Ganz große Oper soll es sein, mit den
drei medienwirksamsten Stars, die das Klassikbusiness derzeit zu
bieten hat, monumental, leidenschaftlich, von südländischem
Temperament durchpulst.
Denn Musiktheater, das ist für
jene, die Arien-Potpourris unter offenem Himmel zu genießen
wissen, vor allem eine Frage des Gefühls. Was sie wollen, ist
glodernde Lut, wie es Edmund Stoiber so treffsicher zu
formulieren wusste.
Da geht es ums Abtauchen in
Geschichten, in denen sich alles ununterbrochen um Fragen von
Liebe oder Tod dreht, und – im Schlepptau der leidenden, sich
verzehrenden Protagonisten – auch ums Freilassen eigener
Emotionen. Um Katharsis – zu Neudeutsch: Wellness für die Seele.
Und das lassen sie sich viel kosten: Bis zu 235 Euro,
mindestens aber sechzig Euro musste investiert werden für dieses
„Gipfeltreffen der Stars“. Da kann man dann eigentlich auch
einen lauen Sommerabend verlangen! Schließlich klingen unterm
Balkon gesungene Cavatinen einfach besser, wenn der Interpret
dabei nicht mit den Zähnen klappert.
Doch der Berliner
Sommer will sich nun einmal nicht freilufteventtauglich zeigen,
Giuseppe Verdi hin, Giacomo Puccini her. Weil das ZDF das
Konzert zeitversetzt sendet, strahlen immerhin unzählige
Scheinwerfer unterm Waldbühnen-Zeltdach auf Frau Netrebko und
ihren beiden Männer herab. Sie simuliert dann auch ganz offensiv
Augusthitze, trägt schulterfreie Roben, zitronengelb vor der
Pause, nachtblau im zweiten Teil. Es gibt großflächige
atmosphärische Projektionen im Hintergrund und einen
Lichterketten-Lüster, der irgendwie nach Empire-Stil aussehen
will. Was aber nur stellen die sechs Hungerharken dar, die rund
ums Podium in die Höhe ragen? Sind diese Schwellkörper aus
mitteldichter Faserplatte – ja, worum geht es denn in den
Arien?! – vielleicht sogar sexuell konnotiert?
Viel gibt
es an solchen Open-Air- Abenden, was die Konzentration vom
Wesentlichen ablenkt, von der Musik, derentwegen man doch
eigentlich gekommen ist. Entsprechend groß ist die Verantwortung
der Künstler, die Veranstaltung nichts ins Seichte abgleiten zu
lassen. Erwin Schrott, Netrebkos Ehemann, muss am Dienstag als
erster raus auf die Bühne. Die Registerarie des Leporello aus
Mozarts „Don Giovanni“ ist sein Paradestück, da sitzt jeder Ton
so perfekt wie sein Samtsakko. Als nächstes verströmt sich seine
Frau, nicht als Donna Anna, sondern, ins italienische Fach
springend, als Madama Butterfly. Jonas Kaufmann bleibt
im Lande, mit „Cielo e mar“ aus „La Gioconda“, der Erfolgsoper
von Puccinis Lehrer Amilcare Ponchielli. Die Prager Philharmonie
hebt unter Marco Armiliatos Leitung an – und kurz muss man an
Rolando Villazon denken, Netrebkos ersten Bühnentraumpartner,
der vor fünf Jahren, beim letzten Waldbühnenauftritt der Russin,
an ihrer Seite sang. Villazons letztes Album vor der großen
Stimmkrise ist just nach dieser Arie benannt.
Kaufmann
allerdings braucht nur ein paar Töne, um zu beweisen, dass es
derzeit keinen besseren Tenor gibt als ihn. Weil er einfach in
jedem Stil absolut sicher ist. Grandios, wie er „Cielo e mar“
gestaltet, mit genuiner italianità bis hinein ins zuckersüße
Pianissimo. Um dann im „Manon“-Duett mit Netrebko auf den
idealen, schlanken Ton für Massenet umzuschalten. Geradezu
perfide, wie er später die Operetten-Schnulzen auskosten wird,
bis hin zur eingangs erwähnten „Giuditta“-Zugabe.
Perfekter Schöngesang erklingt, wenn sich Anna Netrebko in
die „Trovatore“- Leonore verwandelt, sehr kultiviert wirken ihre
Liebesschwüre im „Porgy & Bess“-Duett mit Erwin Schrott.
Erstaunlich wenig mainstreamig ist überhaupt die Auswahl der
Stücke, vielleicht sogar ein wenig zu effektarm in den Finali.
Und obwohl sie beim Schlussapplaus alle drei mit Sektgläsern auf
der Bühne erscheinen, verweigern die Umjubelten am Ende ihren
Fans das bei Freiluft-Events eigentlich obligatorische
„Traviata“-Trinklied. Auch das muss man sich erst einmal trauen.
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