Opernglas, September 2010
J.-M. Wienecke
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, 28. Juni 2010
MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE - TOSCA
 
Vom Skandal zum Ladenhüter? Noch zu Saisonbeginn hatte diese ungeliebte neue “Tosca« die Gemüter der traditionell konservativ getakteten New Yorker Opernkreise erhitzt. Der ästhetische Maßstab heißt dort nach wie vor Franco Zeffirelli. In München fiel die Produktion im Zweitaufguss zum Festspiel-Auftakt zwar gleichfalls durch, allerdings unter gänzlich veränderten Vorzeichen. Wozu die ganze Aufregung und der mediale Wirbel an der Met, fragte man sich mit einigermaßen berechtigtem Erstaunen. Ambitionierte Neudeutungen jedweder Couleur gelten hierzulande gleichsam als programmatische Pflicht. Zum szenischen Aufreger, soviel stand bereits nach wenigen Minuten fest, taugte diese Premiere nicht im Ansatz. Luc Bondy hatte sich in gemäßigt historisierendem Ambiente bis auf einige, leider wenig plausibel veränderte Kernelemente des Klassikers, ganz der Tradition verpflichtet. Den Staub der alten Friedrich-Inszenierung, die dem Haus über dreißig Jahre bewährte Repertoire-Dienste in meist erstklassigen Besetzungen geleistet hatte, ersetzte Richard Peduzzi (Bühne) im ersten Akt durch das diffuse Dunkel einer karg ausgestatteten römischen Backsteinbasilika. Immerhin strahlte die allein durch ihre nüchterne Größe beeindruckende Sakralarchitektur eine gewisse Erhabenheit aus. Scharf im Kontrast dazu stand das mit geradezu erdrückender Enge gewaltig auftrumpfende Te Deum, das durch seinen übersteigerten Kostüm-Pomp (Milena Canonero) skurrile Züge trug. Doch zwingt die effektvolle Machtdemonstration des Klerus mit seinem imposanten Choraufgebot (Einstudierung: Andres Maspero) Scarpia nur scheinbar in die Knie. Sein heuchlerischer Devotismus erweist sich schnell als bloße Larve — er schreckt vor nichts zurück. Pluspunkt der in ihrer künstlerischen Bilanz eher ernüchternden Koproduktion: Bondys Bühnenarrangement dürfte den nachfolgenden Sängergenerationen — durchaus ein Wert an sich — über längere Zeit nicht minder gute Dienste erweisen als sein Vorgänger.

Die musikalische Bilanz, und darin begründete sich das eigentliche Ärgernis der Premiere, fiel ähnlich ernüchternd aus: Juha Uusitalo konnte als frivol gezeichneter, stets von diversen Gespielinnen umgebener Polizeichef nur bedingt an große Vorbilder anknüpfen. Dem bereits Wotan-erfahrenen Bariton fehlte es nicht etwa an lyrischer Geschmeidigkeit oder gestalterischer Eleganz, sondern entschieden an dramatisch auftrumpfenderAttacke und dämonischer Bühnenpräsenz. „E avanti a lui tremava tutta Roma?“ Toscas ungläubige Frage erschien selten so berechtigt.

Doch war es insbesondere Karita Mattila, die selbst weit hinter den in sie gesetzten Hoffnungen (und Möglichkeiten?) zurück blieb. Da mochte sich die spürbar nervöse finnische Diva noch so exaltiert in die große Pose des allürenhaften Opernstars stürzen, im Ergebnis blieb sie meist schablonenhaft neben der Rolle stehen, hart am Rand zur Karikatur. Eine hörbare lndisposition (oder mehr?) legte sich wie Blei auf ihre Gestaltung, machte jede natürliche Leichtigkeit zunichte.

In der Tongebung verschleiert und belegt, ließ ihr Sopran den nötigen Höhenglanz vermissen, die Spitzentöne wirkten hart erkämpft, oft geradezu isoliert und gepresst. Die erwartungsfrohe Festspielgemeinde reagierte entsprechend kühl, nach „Vissi darte“ regte sich lediglich zurückhaltender Höflichkeitsapplaus. Die Mattila überspielte professionell, aber durchaus sichtbar ihren Ärger, als die Bewertung bei den Solo-Vorhängen am Ende noch um einiges deutlicher ausfiel. Juha Uusitalo fehlte diesbezüglich die erforderliche Gelassenheit gegenüber der teils berechtigten Kritik. Der Finne ließ sich durch den offenen Widerspruch reizen, wandte sich fordernd gegen hartnäckige Buh-Rufer aus den Rängen, die zugegebenermaßen hohe, aber durchaus berechtigte Maßstäbe anlegten.

Einzig Jonas Kaufmann, zumindest wenn man den ungebremst aufbrandenden Ovationen vertraute, schien dem erwarteten Ideal zu genügen. Der smarte Münchner genießt längst Kultstatus, scheint derzeit über jeden Einwand erhaben. Die Sympathien fliegen ihm offen entgegen. Eine Mischung aus Beau, betont baritonal männlicher Stimmfärbung und glaubwürdig natürlichem Spiel, die er wie derzeit kein Zweiter bedient, definiert das Geheimnis seines sensationellen Erfolgs. Cavaradossis Auftrittsarie „ Recondita armonia“ gelang mit bemerkenswerter Präsenz, markant im Vortrag und erwartet höhensicher. Kaufmann sang die Kantilenen mit vollem Ton und in der Linie imposant ausgestellter Höhe. Das Publikum zeigte sich ungewohnt rücksichtsvoll, verzichtete überraschend auf störendes Hineinklatschen, feierte seinen neuen Tenor-Liebling erst am Ende ausgiebig und wie einen Helden.

So sehr sich das Bayerische Staatsorchester auch bemühte, den Dirigenten Fabio Luisi vermochten die Musiker trotz ansprechender Leistungen an allen Pulten an diesem Abend nicht aus der Schusslinie zu nehmen. Der Maestro gilt vielerorts noch immer als profilierter Repertoire-Kämpfer, aber nicht als erste Wahl für Premieren mit Glamourfaktor. Dafür gibt es durchaus Gründe. Nach markant profiliertem Beginn stellte sich schnell Routine ein, blieben erkennbare Akzente, die eine eigenständige Interpretation charakterisieren, aus. Buhs waren vielleicht unangebracht, mutmaßlich eher als Ausdruck eines allgemeinen Unmuts über die in toto enttäuschende Festspieleröffnung zu werten. J.-M. Wienecke
 






 
 
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