dradio, Deutschlandfunk, 16. Mai 2010
Von Mascha Drost
Brahms: Rinaldo-Kantate, Konzert in der Philharmonie Berlin, 14. Mai
Stellenweise etwas bräsig
 
Brahms "Rinaldo"-Kantate aus dem Jahre 1869 wird äußerst selten aufgeführt. Nun gehört das halbstündige Opernfragment zu den Programmpunkten der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Claudio Abbado.
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Es war sicher kein Programm, nach dem sich das Publikum verzehrt - aber Claudio Abbado kann sich in Berlin eigentlich alles erlauben. Die Leute stehen Schlange: für drei orchestrierte Schubert-Lieder, ein Bruchstück der Gurre-Lieder und eine - aus nicht unberechtigten Gründen - fast nie gespielte Kantate von Brahms. "Rinaldo" - das erste große Chor-Orchester-Werk, komponierte Brahms für einen Chor-Wettbewerb, 300 Taler hätte er gewinnen können - doch er wurde nicht fertig. Erst sechs Jahre später, 1869 wurde das Werk in Wien uraufgeführt.

Im Vorfeld wurde die Frage aufgeworfen: Wie hätte wohl eine Brahms-Oper geklungen- denn nichts weniger als eine perfekte Opernszene ist dieser Ausschnitt, in dem Rinaldo sich versucht, von der Zauberinsel und ihrer Bewohnerin Armida loszureißen - erfolgreich, dank seiner Mannschaft. Und sollten diese knapp 30 Minuten eine Art Opern-Versuch gewesen sein - so wird es Brahms keiner verübeln, dass er sich dieser Gattung niemals zuwandte. Dramatische Zuspitzung, Effekte, musikalische Richtungswechsel - alles opernhafte sucht man vergebens, und wenn sich doch Partikelchen davon ausmachen lassen - nie mehr als ein paar Takte - wirken sie so unbeholfen, als hätte sich der Komponist besseren Wissens und Empfindens dazu hinreißen lassen.

Brahms "Rinaldo"-Kantate aus dem Jahre 1869 wird äußerst selten aufgeführt. Nun gehört das halbstündige Opernfragment zu den Programmpunkten der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Claudio Abbado.

Einzige Ausnahme: Einige Chorszenen, da hätte selbst der Antipode Wagner Brahms als Ghostwriter anstellen können. Die brausenden Bässe und schmetternden Tenöre - das hatte schon Holländer oder Lohengrin-Qualität. Erst in bedrohlicher Einigkeit, dann im drängenden Fugato bestürmen sie Rinaldo und vor derart geballter Männlichkeit, zu der sich die Herren des Rundfunkchores Berlin und des Bayerischen Rundfunks zusammengeschlossen hatten, bleibt einem fast nur die Kapitulation.

Auch wenn sich Rinaldo, gesungen von Jonas Kaufmann, der volltönenden Masse moralisch geschlagen geben musste - stimmlich hielt er erfolgreich dagegen, mit ebenso viel Geschmeidigkeit wie Kraft und der für ihn so typischen dunklen Innigkeit. Doch so recht wohl war ihm bei der Sache nicht, so wie er an der Partitur Halt suchte - im Gegensatz zum Dirigenten, der das komplette Programm auswendig und mit schwärmerischer Hingabe dirigierte. Abbado suchte die Leichtigkeit in der - boshaft gesprochen - stellenweise etwas bräsigen Partitur und sein ehemaliges Orchester folgte ihm widerspruchslos.

Die erste Konzerthälfte hatte an Farbigkeit und orchestraler wie klanglicher Virtuosität ungleich mehr zu bieten - auch wenn orchestrierte Schubert Lieder nicht jedermanns Sache sein müssen. Aber die fiebrig-ratternden Triolen beim "Erlkönig" haben fast mehr Dramatik als das Original - vor allem wenn die Bögen so akkurat springen wie bei den Philharmonikern - und Berlioz ebenso dramatisch wie feinnervig instrumentiert.

Für die Sängerin Christianne Stotijn war allerdings selbst die durchsichtige und sensibel geführte Begleitung ein wenig zu viel des Guten - allein am Flügel hätte ihre etwas angestrengt klingende Stimme sicher besser getragen.

Zum Schluss - großer, über alle Maßen verdienter Applaus für Dirigent, Orchester, Chor und Solisten - Abbado wird nächstes Jahr wieder in der Philharmonie auftreten, vom Publikum sehnsüchtig erwartet - ob das auch für die Musik dieses Konzertes gilt, darf bezweifelt werden.






 
 
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