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Christian Gohlke
Verdi: Messa da Requiem, Salzburg, 30. März 2010

Atemberaubend 
 
Der Abend begann überraschend heiter. Denn als die Berliner Philharmoniker und der Chor des Bayerischen Rundfunks schon auf der Bühne des Großen Festspielhauses Platz genommen hatten und auf Mariss Jansons warteten, war mehrfach ganz deutlich das Krähen eines Hahns zu hören. Klar, kein Tier verursachte diese Laute, sondern der Klingelton eines Handys, der zunächst den Konzertmeister der Philharmoniker zum kopfschüttelnden Lachen brachte. Ihm folgten Chor und Orchester, dann die Zuschauer. So amüsant kann ein Abend beginnen, an dem Verdis 'Missa da Requiem' auf dem Programm steht. Dann aber betrat Mariss Jansons die Bühne, und es wurde ernst, todernst sozusagen. Jansons wartete lange, sammelte sich, erzwang vollkommene Stille. Er hob den Arm, ließ ihn, durch erneutes Gehüstel und Geraschel abermals gestört, sichtlich enerviert wieder fallen, wartete wieder – und gab, als es ihm endlich still genug war, den Einsatz. Sofort war klar, warum Jansons den größten Wert auf absolute Ruhe gelegt hatte: Äußerst verhalten, kaum merklich trat der fallende Moll-Dreiklang aus der Stille hervor. Geflüstert beinahe, aber vollkommen klar artikuliert, äußerst dezent und absolut präzise, wie gemeißelt in ihrer klaren Kontur folgten dann die ersten Worte des Chores: 'Requiem aeterna dona eis, Domine'. Ein Beginn, der einem den Atem verschlug und eine vibrierende Spannung in sich trug, die tatsächlich bis zum Ende anhielt. Jedes Scheitern, sagt man, hat seine Gründe, jedes Gelingen aber sein Geheimnis. Annähern an das geheimnisvolle Gelingen dieses wunderbaren Konzertes kann man sich aber wohl doch ein wenig.

Dieser Abend überwältigte nicht durch donnernde Klangmassen und grobschlächtige Wucht, sondern weil hier einmal jede Zeile, jede musikalische Phrase durchdacht, geformt und – was ja doch am wichtigsten ist – beseelt erschien. Mariss Jansons hat es nicht nötig, auf bombastische Effekte zu setzen, die ja bei diesem Requiem leicht zu haben wären. Jeder drittklassige Dirigent kann es beim 'Dies irae' gewaltig krachen lassen – sofern ihm halt Musiker mit entsprechenden Reserven zur Verfügung stehen; das ist keine so große Kunst. Aber die Zartheit des 'Ingemisco tanquam reus' herauszuarbeiten oder das 'Recordare' zu einem innigen Gebet werden zu lassen, das gelingt nur Künstlern von Rang. Mariss Jansons – das bestätigte dieser Abend eindrücklich – gehört zu ihnen. Er delektiert sich nicht an der Schreckensvision vom jüngsten Tag; nicht um ein metaphysisches Konstrukt ist es ihm zu tun (das war ja schon für Verdi weitgehend obsolet geworden), sondern die bangenden, hoffenden, zweifelnden Menschen, die sich dem Tod ausgesetzt wissen, interessieren ihn. Darum klingt seine Deutung des 'Requiem' zutiefst human.

Dass diese humane Perspektive so überwältigend gelang, verdankte sich einem exzellenten Solistenquartett, das sich aufs schönste ergänzte. Ein kerniger, in den Höhen vielleicht etwas spröder Bass (Stephen Milling), der nach der gewaltigen Steigerung des Orchesters und dem abrupten Ende im 'Tuba mirum' fast tonlos das Schaudern zum Ausdruck brachte, das alle Kreatur angesichts des jüngsten Gerichtes durchdringt ('mors stupebit et natura'), - und Jonas Kaufmann als Tenor, der nicht nur über ein berückend schön kultiviertes Piano verfügt, sondern zudem über italienischen Schmelz und enorme Strahlkraft in den Höhen. Stimmliche Möglichkeiten, die ihm es erlauben, das 'Ingemisco' äußerst differenziert auszugestalten. Ein Mezzosopran von gewissermaßen süßer Herbheit und großer Eindringlichkeit (Marina Prudenskaja), der inständig um Gnade bittet im 'Recordare', - und Krassimira Stoyanova, deren weich timbrierter, klarer Sopran aufs schönste mit der raueren Klangfarbe der Prudenskaja hormoniert. Makellos glückte der schwere Einsatz auf dem hohen E im 'Offertorio': 'Sed signifer sanctus Michael' und bewegend ihr zuletzt fast stillstehendes, stockendes 'Libera me'.

Getragen, umrahmt und eingebettet wurde dieses fabelhafte Ensemble von den dunkel und samtweich klingenden Berliner Philharmonikern, denen Jansons ein Letztes an Prägnanz und sprechender Artikulation zu entlocken wusste, und vom schon erwähnten Chor des bayerischen Rundfunks, der von Peter Dijkstra bewundernswert feinnervig einstudiert wurde. Strahlend im Forte, hauchzart im Piano, prägnant in der Artikulation und sicher in der Intonation - die reine Freude. Mit diesen herausragenden Musikern gestaltet Mariss Jansons einen Konzertabend, der tief berührte. Verdis 'Requiem' gelang - atemberaubend.






 
 
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