Opernwelt, Februar 2010
Markus Thiel
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Rampentheater, auseinandergezogen
 
Dem Feind Säure ins Gesicht geschüttet, den Gatten befreit, «namenlose Freude» besungen - doch da gibt es noch vier weitere Gefangene. Aufgeteilt auf drei Käfige schweben sie vom Schnürboden. Vier Herren im Frack sind das, Streicher des Bayerischen Staatsorchesters, die Partiturfremdes spielen: das Adagio aus Beethovens Quartett op. 132. Jenen «Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit», der berührt, innehalten lässt, den Augenblick viel besser kommentiert und überhöht als manch plakativ gestaltete «Leonoren»-Ouvertüre. Ein Moment, der den enttäuschenden Abend (fast) rettet.

«Fidelio» einmal nicht als Fascho-Drama, das ist - nach all den erschöpfend inszenierten Diktatur-Variationen - eine grundsätzlich sympathische Entscheidung. Ebenso die Eliminierung vieler Holperdialoge zugunsten überraschend passender Texte von Jorge Luis Borges. Regisseur Calixto Bieito zielte bei seinem späten Debüt an der Bayerischen Staatsoper auf anderes: auf die Freilegung des individuellen Konfliktfeldes, in dem sich Leonore und Florestan bewegen. Folgerichtig ließ er sich von Rebecca Ringst eine monumental aufragende Labyrinthkonstruktion bauen, durch die das Personal in zuweilen lähmender Aufgeregtheit gejagt wird. «Fidelio» also als geistiges Gefängnis, als Drama der Obsession und Ausweglosigkeit. Passt durchaus, ist aber schnell auserzählt. Die Bühne behauptet ein Konzept, der Rest ist in Höhe und Breite auseinandergezogenes Rampentheater inklusive einiger Befindlichkeitsstudien. Nach der Pause kippt die Konstruktion in die Horizontale. Florestan irrt durchs Plexiglas-Labyrinth. Bieitos Problem ist dabei weniger das Konzept als die Perspektive: Er arrangiert Figuren, spielt mit ihnen, anstatt Charaktere von innen heraus zu erfüllen.

Anja Kampe, mit gehaltvoller Mittellage gesegnet, mag mit der Zentrierung der hohen Lage Schwierigkeiten haben. Die zwischen Entschlossenheit und Verzagen schwankende Leonore nimmt man ihr dennoch ab. Jonas Kaufmann spielt Florestan als schwer Traumatisierten: ein schutzloses Häufchen Rest-Mann, ein Kranker, der sich ständig mit dem Kamm durch die fettigen Locken fährt, sich in die Embryonalhaltung flüchtet und beim Jubel-Duett abwesend neben der Gattin sitzt. Vokal ist derzeit kein besserer Florestan denkbar. Den Ruf «Gott» am Beginn seiner Szene pegelt er aus dem Nichts ins Fortissimo, die markige Dramatik, die Mühelosigkeit im fast unsingbaren Arien-Schluss, das nie manierierte Nuancieren - all das sichert dem Star die Krone des Abends.

Dicht auf den Fersen ist ihm hier Wolfgang Koch, der vorführt, dass man Pizarro nicht aufs Brüllen verengen muss, sondern dem Finsterling tatsächlich Facetten abgewinnen kann. Abgesehen vom Paar Marzelline/Jaquino (für das offenbar ein Foto-Casting reichte) ist das eine angemessene Besetzung, inklusive FranzJosef Selig (Rocco) und Steven Humes, der als Fernando nicht die Rettung bringt, sondern in Gestalt des «Batman»-Jokers für die finale, zynische Pointe sorgt.

Dass diese Sänger blessurenfrei mit Daniele Gattis Dirigat zurechtkommen, ist ein Wunder. Von Beethovens Vehemenz, seiner offensiven Rhetorik keine Spur. Müde schleppen sich die Nummern dahin, die dritte «Leonoren»-Ouvertüre zu Beginn (statt der üblichen «Fidelio»-Ouvertüre) klingt, als habe sie ein Cherubini-Parodist notiert. In die heftigen Buhs für Gatti mag sich eine Extraportion Erleichterung gemischt haben: Der Dirigent galt lange als Kirill Petrenkos Co-Favorit im Rennen um die Nagano-Nachfolge.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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