Der Standard, 26. Dezember 2010
Joachim Lange
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Verloren im Labyrinth
 
Regisseur Calixto Bieito und Daniele Gatti erregen die Münchner Gemüter mit ihrem "Fidelio"
 
Dass der Dirigent nach der Pause von ein paar Buh-Salven empfangen wird, passiert in der Münchner Oper nicht alle Tage. Daniele Gatti erging es so, als er in München die Fidelio-Premiere dirigierte. Ganz überraschend kamen diese Unmutsäußerung nicht, denn es war recht grob und kein Muster an Präzision, wie Gatti sich mit dem Bayerischen Staatsorchester seinen Weg zwischen Singspiel und Freiheitspathos bahnte.

Auch sonst hält sich der musikalische Ertrag dieser Produktion in Grenzen. Sogar Startenor Jonas Kaufmann überzeugte nur in den Höhen Florestans. Zwar kann München mit Wolfgang Koch einen fulminanten-bösartigen Don Pizzaro aufbieten. Und mit Franz-Josef Selig sicherte man sich den kultiviert-eloquenten Rocco vom Dienst.

Anja Kampe aber fehlte doch deutlich die dramatische Überzeugungskraft als Fidelio/Leonore. Steven Humes (Don Fernando), Jussi Myllys (Jaquino) und Laura Tatulescu (Marzelline) steuerten allenfalls solide Rollenporträts bei. Das bleibt hinter dem Anspruch zurück, mit dem Nikolaus Bachler sein Haus positioniert.

Gesetzt hatte er aber ohnehin hauptsächlich auf Regisseur Calixto Bieito. Der Katalane hat sich mit seinem Brachialrealismus vor allem in Deutschland einen Namen gemacht. Da dieser bei ihm nie pure Provokation war und er mittlerweile zu einem akzeptierten Erben eines Musiktheaters geworden ist, dem es um gesellschaftliche Relevanz geht, gab es den in regionalen Presse avisierten Skandal natürlich nicht - dafür eine radikale Verschiebung der Vorzeichen, unter denen Beethovens einzige Oper gemeinhin auf die Bühne kommt.

Bei Bieito wird es nicht zur Vorlage für eine Gewaltorgie als Statement gegen die Diktatoren dieser Welt. Allerdings bleiben da die heiklen Sprechtexte und das tändelnde Singspiel auf der Strecke. Selbst vom musikalischen Pathos, mit dem Freiheit und Gattenliebe bejubelt werden, bleibt szenisch nichts übrig. Dafür dominiert eine Verunsicherung, die im Kontrast zur Musik ihre Wirkung entfaltet.

Beklemmendes Bühnenbild

Rebecca Ringst hat ein beklemmendes Labyrinth auf die Bühne gesetzt. Es sind zwei hintereinander stehende Konstrukte, deren Konturen mit Neonleuchten nachgezeichnet sind. In diesem Labyrinth sind sie alle gefangen, traumatisiert und auf sich selbst zurückgeworfen. Bieito sucht nach den Gefängnissen in uns und fordert seinen Sängern geradezu artistische Höchstleistungen ab.

Zu Beginn des zweiten Aktes kippt der vordere Teil dieses Bühnenlabyrinthes dann langsam, nach hinten weg. Zu einem Höhepunkt wird ein Innehalten vor dem Finale. Unmittelbar vor dem Auftritt des Ministers schweben aus dem Schnürboden drei Käfige mit Musikern herab, die mit einem Teil aus Beethovens Streichquartett op 132 jeden Jubel mit stiller Weisheit und tiefer Traurigkeit konterkarieren. Den Auftritt des Ministers, dessen Erscheinen alles einrenkt, zeigt Bieito als Akt surrealer Willkür. Der wie Jack Nicolson als Joker aussehende Don Fernando erschießt zur allseitigen Verblüffung zunächst Florestan.

Da das aber nicht funktioniert, schreibt er ihm dann eben das Wort "FREI" an das Schild, das er wie alle um den Hals trägt. Doch Florestan hat seinen Knacks weg, entkommt dem Labyrinth und sich selbst nicht mehr, wie auch die Gefangenen mit ihren unbeschriebenen Schildern überfordert wirken.

Bieito setzt dem utopische Optimismus des bürgerlichen Bekenntniswerks vom Anfang des 19. Jahrhunderts einen tief sitzenden psychologisch grundierten Pessimismus vom Beginn des 21. Jahrhunderts entgegen. Szenisch ist das streitbar aber konsequent. So gab es neben obligatorischen Buhs auch entschiedene Zustimmung.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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