Der Opernfreund
Egon Bezold
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Fidelio in intellektueller Deutung durch Calixto Bieito
 
 
Beethovens Fidelio, diesem Jubelgesang der Freiheit, dem hohen Lied der Gattenliebe, neue Perspektiven abzugewinnen, scheint für viele Regisseure ein Problemfall zu sein. Ist zu diesem Werk nicht schon alles gedacht, gesagt und gezeigt worden, was es auch immer hineinzudeuten und herauszufiltern gilt? Ob Liebesdrama in Kostüm und Maske, Thriller mit Rettung in höchster Not, moralischer Appell, Utopie oder völkisch-heroische Propaganda im dritten Reich – in radikale Umarbeitungen hatten sich schon so manche Regisseure verbissen. Sie alle fahndeten nach Widersprüchen in Beethovens Freiheitsoper bis hin zu apokalyptischen Dimensionen. In Hamburg hat Peter Palitzsch den leidenden Florestan mit dem gekreuzigten Christus identifiziert. David Pountney machte die Oper in Bregenz zum aufwendigen High-Tech-Event, und in Martin Kusejs Produktion an der Staatsoper Stuttgart avancierte die Gefangenschaft zum Schlüsselbegriff für die Oper. Die Befreiung des Florestan fand nur in der Fantasie von Leonora statt. Hans Kresnik projizierte gar in den Fidelio eine sozialkritische Note: ein Kapitel im Arbeitskampf um eine Bremer Werft. Schließlich ließ Harry Kupfer gemäß Semi-Stage-Prinzip die Protagonisten in Nürnberg auf auf leer gefegter Bühne mit Konzertflügel alltagskostümiert mit Klavierauszug in der Hand wie zu einer Probe erscheinen, ihre Kleidung ablegen, reales Spiel vorführen und zwischendurch wieder an der Rampe zur Vortragshaltung erscheinen.

Jenseits der traditionellen Ästhetik der Freiheitsoper versteht sich Calixto Bieitos Deutung als provokantes Aktivitätstheater – als Poem über die Freiheit des Geistes, über Einsamkeit und Befreiung der Gedanken. Die Neuinszenierung fand an Bayerns Staatsoper in München statt. Dem Katalanen geht ja der zweifelhafte Ruf voraus, dass er wie ein Regie-Revoluzzer, als Enfant terrible, mit drastischen und blutigen Bildern, mit Folter, nacktem Fleisch und Sexualität zu agieren pflegt, vor allem wenn es um das Musiktheater geht. Und Bieito bürstet mit einer intellektuellen Deutung gehörig gegen die Erwartungshaltung des Publikums.

Rebecca Ringst stellt eine abstrakte Installation, ein gläsernes Labyrinth, auf die Bühne, zu verstehen als Areal der Unfreiheit, mentales Gefängnis der Angst. In türlosen Käfigen sind Menschen mit ihren eigenen Ideen gefangen, werden in einer hypertrophen Akrobatik treppauf, treppab durch das neonbeleuchtete Gestänge gejagt. Dazu gesellen sich von oben herab schwebende Figuren, die in den dramatischen Aufbrüchen der zu Beginn gespielten Ouvertüre Leonore 3 orgiastische Zappeleien vorführen. Da erhebt sich schon die Frage, wie dieser aufgepfropfte philosophische Ansatz mit den realen Gegebenheiten in Einklang zu bringen ist. Vieles erscheint hier als dekoratives Beiwerk. Trotz alledem: die Handlung des Fidelio im labyrinthischen Gefüge wirkte erfreulich entmufft, nicht zuletzt des Umgangs mit den gekürzten oder gestrichenen Dialogen wegen, die dem ersten Akt vieles von der sonst peinlich berührenden Naivität nehmen. Auch neu gefasste Texte zu den Arien unterstreichen eine modisch progressive Tendenz. Eingeschoben werden auch Textpassagen von Jorge Luis Borges, so aus „Der Garten der Pfade…“ oder „Das Labyrinth“.

Florestan avanciert hier zur Zentralfigur – depressiv, unkämpferisch im Pyjama – die sich permanent manisch über die Haare streicht und nach ihrer Befreiung enttraumatisiert der rettenden Gattin in die Arme fällt. Wenn Pizzaro sich wie ein magisch wahnsinnig gewordener auf Florestan stürzt, wird er von Leonore durch kräftigen Guss aus dem Giftkübel aus dem Verkehr gezogen. Im Finalbild wird die Verkündigung der Freiheit statuarisch konzertant vorgeführt, während Don Fernando (Steven Humes) als fieser Batman-Joker ironisch das Ruder führt und dem Jubel konterkariert.

Daniele Gatti am Pult des geschmeidig aufspielenden Staatsorchesters mied zwar aufdringliches Pathos im Klang, doch den akkuraten Zugriff im Jubelfinale blieb er schuldig. Singulär erschien im zweiten Akt der „Heilige Dankgesang eines Genesenden…“ aus Beethovens a-Moll Quartett op. 132. Dass das Odeon Quartett in lichter Höhe von oben herab auf drei schwankende Gitterkäfige verteilt zur musikalischen Tat schritt, wirkte arg verstiegen.

Mit vokaler Intensität legte Anja Kampe als Leonore Ehre ein. Das wurde gerade im ekstatischen Taumel in den höheren Regionen hörbar, wenn die Töne wie Pfeile in die Höhe schießen und präzise ihr Ziel trafen. Jonas Kaufmann als Florestan beeindruckte mit strahlender Höhe und einer ekstatischen Vision von Rettung und Befreiung. Viel Bedrohlichkeit strahlte Wolfgang Koch als Pizzaro aus. Laura Tatulesco, vernarrt in ihre Schönheit, führte die Marzelline aus penetranter Singspielhaftigkeit, ebenso der besessen seine Angebetete begattende Jacquino von Jussi Myllys. Für eine rollendeckende Darstellung des Kerkermeisters Rocco sorgte Franz-Josef Selig mit seiner schwarz gefärbten Bassstimme. In guter Verfassung stellte sich der Chor vor, dem durch räumliche Trennung beim Gefangenenchor viel an Präsenz abverlangt wurde.

Die aus dem üblichen Fidelio-Klischee ausscherende Inszenierung löste kontroverse Reaktionen beim Publikum aus.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top