Kurier, 24.12.2010
Silvia Kargl
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Packender Münchner "Fidelio" der anderen Art
 
 
So sieht ein echter Aufreger an der Bayerischen Staatsoper aus. Beethovens Oper "Fidelio" erfährt durch den Regisseur Calixto Bieito und den Dirigenten Daniele Gatti eine Neudeutung, die München einen spannenden, das Publikum polarisierenden Musiktheaterabend beschert.

Uneingeschränkten Jubel gab es für die Sänger. Mit Anja Kampe (Leonore/Fidelio) und Jonas (Florestan) steht ein überzeugendes Opern-Paar auf der Bühne. Kampes Sopran gefällt durch den Verzicht auf Schwere. Leonore ist nicht nur liebende Frau, sondern allen Gefangenen eine starke Mutter Courage. Jonas Kaufmanns Florestan fasziniert und erschüttert. Schier unfassbar bäumt sich seine Stimme bei "Gott! Welch Dunkel hier!" aus dem Nichts zu einem gewaltigen Fortissimo auf. Was der Mensch aus einem Menschen machen kann, vermittelt Kaufmann als gedemütigter, geschundener und von Ängsten Gefangener, gleichermaßen großartig als Sänger und Darsteller. Florestan bewahrt seine menschliche Würde mit Gesten voll Verzweiflung und dem unbezwingbaren Glanz seiner Stimme. Großen Einsatz zeigen auch die übrigen Sänger. Ausgezeichnet: Wolfgang Koch als Tyrann Don Pizarro und Franz-Josef Selig als mitleiderweckender Aufseher Rocco. Laura Tatulescu gibt seine umtriebige Tochter Marzelline, Jussi Myllys den sie unglücklich liebenden Jaquino. Aus dem Minister Don Fernando des Librettos wird "Batman-Joker" (Steven Humes), ein ambivalenter Politikerclown, der Florestan zwar rettet, aber als Herr über Leben und Tod seine Macht mit der Pistole zelebriert. Das Gute wird nicht siegen, sondern die Willkür wird zum Prinzip erhoben.

Drastisch
Nicht alle Einfälle Bieitos sind schlüssig. Er vermittelt drastische Bilder, untermalt mit Texten von Jorge Luis Borges und Cormac McCarthy. Ein spektakuläres Stahl-Plexiglas-Gerüst (Rebecca Ringst) ersetzt das Gefängnis. Der Raum lässt keinen Ausweg offen, und so verstricken sich Solisten, Chor und Tänzer darin. Im zweiten Akt sinkt das Gerüst zu Boden und entpuppt sich als Labyrinth, das die Protagonisten sogar nach ihrer "Befreiung" aufsuchen: Gefangene ihrer selbst. Auch Dirigent Daniele Gatti wartet mit Überraschungen auf. Dass er vor dem Einsatz der Musik mit Buhrufen empfangen wurde, ist unverständlich. Der Auftakt mit der Ouvertüre Leonore III passt zur Interpretation Bieitos, in der wenig Platz für Liebe und pathetische Ausbrüche bleibt. Gatti setzt der symphonischen Wucht kammermusikalisch wirkende Momente entgegen. So fügt sich ein Ausschnitt aus Beethovens Streichquartett op.132 a-Moll vor dem Finale in diesen Fidelio. Die Musik schwebt als Trostspender über den gequälten Menschen und steht gegen die Hoffnungslosigkeit der Realität.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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