Deutschlandradio Kultur, 21.12.2010
Von Wolf-Dieter Peter
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Viele Nebensachen, kein Zentrum
 
"Fidelio" an der Bayerischen Staatsoper
 
Der Audiobeitrag ist noch detaillierter

Wenn am Ende der Staatsopernchor in voller Stärke an der Rampe, hinter sich eine hohe Acrylwand als Reflektor "Stimm' in unsern Jubel ein!" schmettert und sechs Solisten mit ähnlichem Text mitjubeln - dann wogt Begeisterung durchs Premierenpublikum. Dass da womöglich die Leuchtkraft des Werkes eine aufwendig und eitel zerfahrene Inszenierung überstrahlt, scheinen nur die Buh-Rufer gemerkt zu haben.

Der Reihe nach: Beethovens "Fidelio" leidet an einem hölzern altbackenen Dialog. Vor kurzem ist der Schriftsteller Peter Mosebach in Paris mit seinem neuen Text gescheitert. Der katalanische Regisseur Calixto Bieito hat nun gemäß seiner Weltsicht aus mal lyrisch finsteren, mal psychotisch zerquälten Texten von Jorge Luis Borges und Corman McCarthy neue Texteinschübe zusammengestellt, weil aus seiner Sicht das Werk vom Gefangensein in der eigenen kafkaesk labyrinthischen Psyche handelt.

Folglich taucht aus dem Dunkel die bühnenhohe Labyrinth-Installation aus vielfach verwinkelten Metallplattformen und Acryl-Wänden von Regina Ringst auf, deren Leuchtröhren an den Stirnseiten bei Piano schwach, bei Fortissimo hell aufleuchten. Ein Streulicht-Schweinwerfer macht das Ganze noch irrealer. Aus dem Orchestergraben kriechen acht seltsam kostümierte Figuren hoch und irren zu der dramaturgisch ja genau den Stückinhalt vorwegnehmenden "Leonore III-Ouvertüre" durch das Labyrinth, lautstark quer und rauf und runter. Das beschäftigt den Zuschauer so sehr, dass vorerst egal ist, dass Jaquino als Jungmacho agiert und Marzelline im sexy Begleitservice-Look sich manisch einen Ohr-zu-Ohr-Lippenstift-Mund malt. Leonore bandagiert sich sichtbar den Busen weg und spricht nach einem wüsten Schrei den von Bieito gewählten Borges-Text "Erhoffe nichts!" ... erfreulicherweise darf sie später doch noch "Komm, Hoffnung ... " singen.

Einen frühen Gipfel derartiger Verstiegenheiten leitet der als Banker gekleidete Rocco mit seiner neuen, mehrfach wiederholten Textzeile "Wo ist der Weg? Ich kann den Weg nicht finden!" ein: darauf setzt unvermittelt die Traum-Musik des Quartetts "Mir ist so wunderbar" ein. All das hat der mal breit mulmig, mal deftig drauflos dirigierende Daniele Gatti mitgemacht, abermals gipfelnd in der aufwendigen Einfügung, dass nach dem Duett-Jubel "O namenlose Freude" ein Streichquartett in drei Gitterkäfigen aus dem Bühnenhimmel herabfuhr, das anrührend feinsinnige Adagio "Danksagung eine Genesenen" aus Beethovens Quartett op. 132 spielte, dann das Ensemble im Fortissimo "Heil sei dem Tag" losjubelte - und dazu der Minister Fernando in Kostüm und Maske des Jack-Nicholsen-"Joker" aus einem "Batman"-Film auftrat, rumalberte und Spielkarten in die Menge warf ...

Mag ja sein, dass Bieito an den realen Lukaschenkos von Europa über Südamerika, Asien bis Arabien schon verzweifelt ist und das unbedingt nun unbedingt inszenieren muss, doch Beethovens "Fidelio" ermuntert uns seit den Tagen Napoleons und der Restauration ja gerade, die Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit nicht aufzugeben, seine Musik begeistert dafür, dass der Kampf für mehr Humanität immer wieder geführt werden muss.

Im allzu oft wackeligen Dirigat Gattis - erinnert sich niemand unter den Jublern, dass seit den Jahren eines Keilberth und Sawallisch schon die 1.Kapellmeister der Staatsoper einen "Fidelio" blitzsauber und spannend dirigieren konnten? - behaupteten sich die Solisten: Anja Kampes Leonore noch mehrfach premierenangespannt mit forciert scharfer Höhe, die übrigen sehr gut neben dem wuchtigen Rocco von Franz-Josef Selig - alle überstrahlt von Jonas Kaufmann, der zunächst im Pyjama und mit Hospitalismus-Körpersprache alle Piani, aber am Ende in Anzug und Krawatte auch alle emphatischen Aufschwünge mit etwas gutturalem, aber kernig-männlichem klingendem Tenor meisterte. Doch dass angesichts eines über 80 Millionen-Etats erstklassige Sänger zu hören sind, ist ein geringes Verdienst. Der verstiegen leere Aufwand der Neuinszenierung lässt eher die Frage aufdämmern, ob nach der Kritiker-Einstufung als "Ärgernis des Jahres" die Intendanz und Dramaturgie der Staatsoper nicht zum "Ausfall des Jahres" werden.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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