Der Neue Merker, 20. November 2010
Dr. Georg Freund
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Royal Opera House, 18 November 2010
London /Covent Garden: ADRIANA LECOUVREUR: Première mit Gheorghiu und Kaufmann am 18.11. 2010
 
Schwer zu verstehen, dass Cileas an herrlichen Melodien so reiche Adriana Lecouvreur  nicht zum Kernrepertoire zählt und es schon Jahrzehnte her ist, dass man sie in der Volksoper spielte. Nun scheint das Werk, das an der Scala und an der MET immer wieder präsent ist, neues Interesse auf sich zu ziehen. In Berlin hatten Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann in einer konzertanten Aufführung sehr großen Erfolg bei Kritik und Publikum und die szenische Produktion im Royal Opera House wurde nun zum Triumph.
 
Das Libretto ist ziemlich getreu nach einem seinerzeit von den großen Schauspielvirtuosinnen Sarah Bernhardt und Eleonora Duse häufig gespielten und noch heute lesenswerten Theaterstück von Eugène Scribe äußerst wirkungsvoll gestaltet. Es spielt ist im 18. Jahrhundert in Paris und schildert die Liebe Adrianas, einer berühmten Schauspielerin der Comédie francaise, zu dem aus seinem Land vertriebenen Herzog Moritz von Sachsen. Rivalin um die Gunst Maurizios ist die Fürstin von Bouillon, die Adriana durch ein vergiftetes Veilchenbouquet ermordet. Dieser die Glaubwürdigkeit etwas strapazierenden Operntod ist wohl das einzige Manko des stets spannenden Opernbuches das durch Ehebruch, Eifersucht und tödliche Intrigen in höchsten Kreisen niemals nachlassende Spannung bietet. Übrigens steht das ungewöhnliche Hinscheiden durch Blumenduft auf der Opernbühne nicht allein da denn schon in Meyerbeers Afrikanerin findet Selika den Tod durch den Duft der Blüten des Manzanillobaumes.
 
Cileas 1902 an der Scala uraufgeführtes Werk enthält nicht weniger als vier Arien (jeweils zwei für Tenor und Sopran), die jedem Opernfreund von Schallplatten bestens bekannt sind. Die sehr sorgfältig orchestrierte Partitur setzt prägnant erfundene Themen für die Hauptfiguren fast leitmovisch ein und enthält große musikalische Schönheiten, vielfach elegischer Art, weist aber auch Stellen von hoher dramatischer Schlagkraft und wirkungsvolle humoristische Passagen auf.
 
David McVicars an geistreichen Einfällen und glaubwürdigen Aktionen reiches Regiekonzept macht in allen Akten ein Rokokotheater zum höchst passenden Aktionsort für die Figuren der im Schauspielermilieu spielenden Handlung. Darüber hinaus bildet es eine packende Metapher für das Illusionäre aller Gefühle  und somit eine ideale Projektionsfläche für Emotionen des Auditoriums. Die hocheleganten Kostüme zeigen die charakteristischen Merkmale der Epoche ohne deshalb in plumpe Nachahmung historischer Vorbilder zu verfallen. Die pantomimisch dargestellten Szenen aus Racines Tragödie Bajazet, deren Hauptrolle, die türkische Sultanin Roxane, im Theater auf dem Theater von Adriana gespielt wird, zeugen allerdings nicht von einer näheren Kenntnis dieses Meisterwerkes der französischen Klassik, aber wem fällt das schon auf ? Ich kann aus dem Unterricht noch lange Passagen der tragédie Bajazet auswendig. Köstlich ein karikierendes Ballett über das Urteil des Paris- eine Metapher für einen zwischen verschiedenen Frauen schwankenden Mann, wie es ja auch Maurizio ist.
 
Stars des Abends waren natürlich die Protagonisten Gheorghiu und Kaufmann, deren Stimmen bestens mit einander harmonieren und die auch optisch wunderbar zu einander passen. Angela Gheorghius Schönheit kam in den Rokokokleidern besonders gut zur Geltung und sie befand sich in vokaler Höchstform, in wesentlich besserer Form als bei ihrer Wiener Marguerite. Ihre Stimme klang viel kräftiger und weist nun echte Spintoqualität auf. Mich störte bei ihren Auftritten oft eine gewisse Künstlichkeit, aber hier ist das Artifizielle ihrer Darstellungsweise geradezu ein Stilmittel zur Charakterisierung eines Schauspielstars. Die Partie der Adriana weist zwar keine großen vokalen Schwierigkeiten und keine exponierten Höhen auf, enthält aber prägnante Sprechstellen und eine schwer zu gestaltende melodramatisch untermalte Deklamation eines Monologes aus Racines Phèdre. Die Gheorghiu bewältigte alle diese Anforderungen so gut, dass daneben ein Ausstieg im Schlussakt nicht ins Gewicht fiel.
 
Eine völlig makellose Leistung bot Jonas Kaufmann. Er gab den Maurizio nicht als eindimensionalen Verismo-Helden, sondern arbeitete prägnant die negativen Charakterzüge des mit der Liebe Adrianas und der Fürstin spielenden, durchaus opportunistischen Mannes heraus. Bei Adriana sucht er offenbar sexuelle Erfüllung und Kaufmann machte sein Interesse an Adriana schon bei seinem ersten Auftritt sehr handgreiflich deutlich. Von der Fürstin Bouillon erwartet er Protektion und Unterstützung bei der Wiedererlangung seines Landes, aus dem er vertrieben wurde. Dabei ist er kein gewöhnlicher Betrüger denn in der Arie l` anima ho stanca gesteht er der Fürstin in einem Moment der Ehrlichkeit, dass seine Liebe zu ihr erloschen ist. Erst im letzten Akt, beim Tod Adrianas, präsentiert er sich so edel wie man es von einem ordentlichen Operntenor eigentlich gewohnt ist. Ob er allerdings Adriana die Heirat nicht nur verspricht, weil er sicher ist, dass sie stirbt ? Wer weiß es? Nach einem Wort Voltaires erzeugt man Langeweile am besten dadurch, dass man alles ausspricht. Diesen Fehler vermeidet das Stück und das spricht für seine Qualität. Stimmlich bot der Künstler alles, war man vom derzeit weltbesten Tenor erwartet: Herrlich samtiges, ungemein charakteristisches Timbre, strahlende Spitzentöne, wunderbar tragende Piani, prachtvolles Legato, messa di di voce …das alles im Dienste dramatischer Wahrheit. Wie er mit einem technisch meisterhaft bewältigten Decrescendo Stimmung erzeugen kann- das macht ihm derzeit kein anderer Tenor nach. Ovationen nach seinen Arien. In der Uraufführung sang Caruso, der bekanntlich ebenfalls ein baritonales Timbre hatte- er kann als Maurizio kaum besser gewesen sein.
 
Wohl kein Opernfreund verspürte Lust, Michaela Schuster nach ihrer Venus in Wien nochmals zu hören. Merkwürdiger Weise hielt sich in der Rolle der Fürstin Bouillon ihr Vibrato in Grenzen und scharfe Höhen dienten der Charakterisierung der durch Veilchen Mordenden. Der Regisseur entlockte ihr sogar eine ansprechenden schauspielerische Leistung- nach ihrer hölzernen Venus höchst verwunderlich.
 
Die vierte Hauptrolle wurde von Alessandro Corbelli sehr sympathisch verkörpert- er spielte einen Regisseur der Comédie francaise, der Adriana hoffnungslos liebt. Unter den weiteren Sängern sind besonders Maurizio Muraro als Fürst von Bouillon und der eine prägnant gezeichnete Charakterstudie eine komischen Abbés liefernde Bonaventura Bottone erwähnenswert. Von den Comprimario -Sängern hat der junge David Soar in der Rolle eines Schauspielers der Comédie eine besonders schöne Stimme.
 
Mark Elder als Dirigent war dem gröblich unterschätzten Werk ein hervorragender Anwalt und für die Sänger ein rücksichtsvoller Begleiter. Der Orchestergraben in Covent Garden liegt tiefer als in Wien und ist zudem noch teilweise abgedeckt, was den Sängern zwar zu Gute kommt, die Brillanz des Orchesterklanges aber etwas mindert.
 
Auf dem Theaterzettel fungiert die Wiener Staatsoper als Co-Produzent der Adriana. Direktor Meyer, den ich im Foyer traf, versicherte mir, die Produktion hätte ihm sehr gut gefallen und sie werde auch in Wien zu sehen sein. Es ist dies wohl einer der „schönen Pläne“, die er für Kaufmann hat und die er bei seinem kürzlich abgehaltenen Publikumsgespräch noch als mysterium stricte dictum behandelte. Wir können uns also freuen und werden hoffentlich ebenso viel Grund zum Jubeln haben wie das Publikum in London. Einen wirklich guten Mezzo für die Simionato-Rolle der Fürstin könnte man sicher auch noch finden.
 






 
 
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