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Presse.com, 10. Mai 2009 |
WALTER WEIDRINGER |
Puccini: Tosca, Wien, 9. Mai 2010
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"Tosca": Zwischen emotionalen Extremen
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Jungstar Jonas Kaufmann und Altstar Ruggero
Raimondi dominieren in der Staatsoper eine insgesamt spannende Aufführung
von Giacomo Puccinis "Tosca". Leider verursachte Pier Giorgio Morandi am
Pult einige Verwirrung. |
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Nicht weniger als viermal stach sie zu: wohlgesetzte, überlegt wirkende
Stiche in den verhassten, sie rechtschaffen anwidernden Körper. Und dann,
als Scarpia endlich tot zu ihren Füßen lag, und sie ihm (mit allerdings
recht derben Tönen des Brustregisters) schließlich vergeben konnte, machte
es plötzlich klick – und sie erwachte aus dem Furor, war von bebendem
Entsetzen über ihre eigene Tat überwältigt: Bei ihrem späten, aber nicht zu
späten Wien-Debüt wollte Catherine Naglestad zeigen, dass Tosca klar auf
Unzurechnungsfähigkeit hätte plädieren können, wäre ihr Fall vor Gericht
gekommen.
Rein sängerisch fühlte sie sich dort am wohlsten, wo sie an den Punkten
dramatischer Aufwallung effektvolle Höhensicherheit beweisen konnte, also
vor allem im zweiten und dritten Akt, während sie bei der lyrischen
Feinzeichnung des Liebesgeplänkels im ersten noch etwas ungelenk wirkte. In
nächster Zeit in Berlin als Verdis Amelia und im Sommer auf der Bregenzer
Seebühne als Aida zu erleben, zeichnete die Amerikanerin somit eine betont
exaltierte, zwischen emotionalen Extremen unvermittelt hin und her gerissene
Titelfigur, die etwa am Schluss des zweiten Aktes das Kruzifix so voller
Ekel in Richtung Leiche schleuderte, dass es zu Bruch ging. Und gelegentlich
schoss sie auch deutlich übers Ziel hinaus: Naglestads veristisches
Schmerzensgeheul fernab der notierten Noten, das sie nach dem Tod
Cavaradossis anstimmte, fiel klar in diese Kategorie. Somit blieb ihre
„Tosca“-Interpretation trotz aller Ambition im Einzelnen insgesamt doch
konventionell.
Sadist mit schlurfendem Schritt
Ganz anders der trotz seiner 67 Lenze immer noch höchst imposant ins
Gotteshaus stiefelnde Ruggero Raimondi als ihr Widerpart Scarpia. Er machte
mit mimisch unterstützter, prägnanter Diktion das wett, was ihm rein
stimmlich an modulierfähigem Material schon fehlen mag – und nützte dies
gleichzeitig zu einer ungewöhnlichen Rollenauffassung: Leicht schlurfenden
Schritts, manchmal fast gelangweilt wirkend, ging dieser Baron seiner zur
Pflicht gewordenen sadistischen Lust nach, fasste sich dabei auch mal an die
Seite, weil der Körper wohl nicht mehr ganz so funktionieren wollte: eine
Art völlig dem Bösen anheimgefallener, überalterter Don Giovanni, den der
Komtur vergessen hat, rechtzeitig in die Hölle zu verfrachten. Schade, dass
auf den herzlich akklamierten Raimondi in Wien nicht noch weitere Partien
warten.
Und auch Jonas Kaufmann ist für Holenders letzte Saison derzeit nicht
vorgesehen: ein Versäumnis. Denn gerade mit dem Cavaradossi konnte der
umjubelte Tenorjungstar vielleicht seine bisher beste Leistung in Wien
erbringen. Jeder äußerlichen Kraftmeierei abhold, lieferte er mit seinem
dunklen, an Giuseppe Giacomini erinnernden Timbre zwar die dramatischen
Schlüsselstellen akkurat und zuverlässig ab, punktete aber mehr noch mit
dynamisch differenzierten, ausgefeilten und weiträumigen Phrasen, die ihre
größte Ausdrucksstärke nicht selten im Pianissimo fanden. Sein stilistisch
untadeliger, mit dezenten Schluchzern garnierter Vortrag paarte sich mit
intelligenter, geradliniger Darstellung fern jeden falschen Pathos: ein
„moderner“ Cavaradossi. Rundherum ein guter Chor, die braven
Opernschulkinder sowie im szenischen Eifer gut dosierte Chargen wie Alfred
?ramek (Mesner), Clemens Unterreiner (Angelotti), Alexander Kaimbacher
(Spoletta).
Leider verursachte Pier Giorgio Morandi am Pult des gut aufgelegten,
zupackend brillant klingenden Staatsopernorchesters einige Verwirrung: Sein
vielfach unterteilter, übertrieben ziselierter Schlag bewirkte statt der
intendierten Exaktheit des Öfteren erhebliche Missverständnisse in der
Koordination. |
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