Der Bund, 31.03.2009
Tobias Gerosa
Puccini: Tosca, Zürich, 29. März 2009
Dreiecksthriller um Sex und Politik   
Ausgiebig gefeiert wurde in Giacomo Puccinis «Tosca» am Opernhaus Zürich die Weltklassebesetzung.
Wann ist eine Premiere eine Premiere? Die Antwort bei der neuen Zürcher «Tosca» ist einfach: wenn die Besetzung genug glänzt. So kann man durchaus von einer gelungenen Neuproduktion und begeistertem Publikum berichten.

Fast wäre es der Premiere am Opernhaus gleich gegangen wie dem AC/DC-Konzert im Hallenstadion. Zwei Tage vor der Hauptprobe reiste der Dirigent Christoph von Dohnany ab, der die Produktion selber erst kurz vor Probenbeginn von Tilson Thomas übernommen hatte – übers Warum kursieren verschiedene Geschichten. Zum Glück ist Giacomo Puccinis «Tosca» ein Hit, den jeder Operndirigent einfach im Repertoire haben muss, sonst wäre die Opernhaus-Premiere vom Sonntag wohl ausgefallen. Man fand einen Ersatz – wie häufig der eingesprungene Dirigent Paolo Carignani mit dem Orchester und Ensemble proben konnte, fragt man besser nicht. Wenn dann auch die Inszenierung zwar für Zürich neu, aber schon in mindestens fünf andern Theatern zwischen Antwerpen und Barcelona zu sehen war, werden Titel und Preiskategorie «Premiere» fraglich. Immerhin bestätigte die Premiere die Befürchtungen nur teilweise, dank der genauen szenischen Einstudierung und den Sängern.

Schwelgen und Mitleiden

In dieser «neuen» «Tosca» ist Oper so richtig Oper zum Schwelgen und Mitleiden: sentimental und bigger than live. Wer will, kann in Robert Carsens ästhetischer Inszenierung sogar etwas mitdenken. Im Zentrum stehen drei Sänger, im Opernhaus natürlich eine ausgiebig gefeierte Weltklasse-Besetzung. Dass mehr koordiniert als gestaltet wird, ist in Anbetracht der Umstände verständlich. Das Opernhausorchester reagiert gewohnt versiert, Carignanis oft langsame Tempi bremsen das Drama allerdings eher, in der Dynamik richtet er sich hörbar nach den Sängern und erweist sich so als aufmerksamer Begleiter – mehr allerdings nicht.

Doch wenn die drei Hauptpartien gut besetzt sind, kann dieser perfekte Dreiecksthriller um Sex und Politik so durchaus funktionieren, ja sogar packen. Gut besetzt heisst hier nicht nur gut singen, sondern auch gut spielen, was Thomas Hampson in der Rolle des Polizeichefs Scarpia besonders liegt. Denn er wirkt auch bedrohlich, wenn er nicht zwischen bellend-lauter und intellektuell-leiser Gefährlichkeit entscheiden will. Ist sein Scarpia nun Gentleman oder brutaler Machtmensch? Auch weil sein Bariton zwar gross, aber nicht wirklich dramatisch tönt, bewältigt Hampsons Stimme die zurückhaltenden Passagen besser.

Wenn er im zweiten Akt die Sängerin Tosca begehrt und, um sie zu gewinnen, ihren Liebhaber, den Republikaner und Maler Cavaradossi, foltern lässt, macht er zusammen mit Emily Magee diese Szene zum Krimi, in dem jede Geste stimmt.

Magee, die mit der Tosca in Zürich ein weiteres Rollendebüt gibt, steht Hampson in nichts nach: Ihre Tosca verfügt über kontrolliertes Temperament, wie sie in Scarpias Machtspielchen langsam in die unterlegene Rolle rutscht, ist spannend mitzuerleben. Magee singt bestechend. Ihr Sopran hat nicht enorme Durchschlagskraft (hörbar im Finale), aber flutet frei im Forte wie im Piano und verfügt über viele Farben. Was Magee zusätzlich auszeichnet, ist die Gestaltung des Textes. Sie singt nicht nur schöne Diven-Töne, sondern stellt diese ganz in den Dienst der Rolle.

Das ist auch eine der ganz grossen Stärken von Jonas Kaufmann. Im ersten Akt noch mit etwas Sand auf der Stimme, wird sein Cavaradossi immer intensiver, wandelt sich vom naiven Künstler zum Kämpfer, der nicht an seine Rettung zu glauben scheint. Wie er seine grosse Arie im dritten Akt «E lucevan le stelle» ganz verinnerlicht zu singen wagt (und singen kann!), ist der eindrückliche Höhepunkt eines fulminanten Rollenporträts. Ohne sich vor den grossen und lauten Ausbrüchen zu fürchten (seine «Vittoria»-Rufe strahlen!), sucht er immer wieder das intensive Piano und lässt Töne an- oder abschwellen. Ein eindrückliches Rollenporträt von seltener Intensität.


Reflexionen einer Diva

Robert Carsens Regie schafft dafür ein Fundament, das für versierte Sängerdarsteller wie die drei in Zürich ein perfektes Sprungbrett bildet. Zunächst erzählt er die Geschichte genau und detailreich so, wie es Libretto und Musik vorgeben: Kirche, Palast, Todesgefängnis. Erst auf den zweiten Blick erweist sich Antony Wards Bühne als Theaterraum. Im Umstand, dass die Protagonistin Tosca eine gefeierte Sängerin ist, entdeckt Carsen einen Subtext, der mitläuft und das Drama auch zur Reflexion der Rolle der Diva macht: Sängerin Tosca im Stück spielt immer auch die Diva, welche die Tosca singt. Die Figuren auf der Bühne blättern im selben Programmheft wie das Publikum im Saal. Das verfeinert die Dreiecksgeschichte, ohne ihr die Spannung zu nehmen. Dieser Ansatz hinterfragt aber kaum, verzichtet auf psychologische Tiefenschärfe und belässt auch die politischen Implikationen der Story bewusst aussen vor. «Tosca» ist und bleibt eine Sängeroper, dafür wurde sie vom Premierenpublikum im Opernhaus bejubelt.
Foto: Vom naiven Künstler zum Kämpfer: Jonas Kaufmann als Maler Cavaradossi. (Keystone)






 
 
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