Tages-Anzeiger, 30.03.2009
Susanne Kübler
Puccini: Tosca, Zürich, 29. März 2009
Die Kirche wird zum Theater – und Toscas Liebe auch
Das Zürcher Opernhaus zeigt eine szenisch und sängerisch ungewohnte «Tosca». Dem Publikum hats gefallen.
Puccinis «Tosca» ist ein harter Brocken für fantasievolle Regisseure. Kaum eine andere Oper legt so vieles so genau fest, und zwar nicht nur in den Regieanweisungen im Libretto, die man notfalls auch überlesen könnte. Auch nicht nur im Text, der ebenfalls längst nicht mehr heilig sein muss. Puccini ging weiter und definierte die Orte der Handlung in seiner Musik. In der Kirche Sant Andrea della Valle etwa wird nicht nur gemalt, geliebt, gestritten und verleumdet, es läuten auch die Kirchenglocken, und der Chor singt ein «Te Deum» – darüber kann ein Regisseur schlecht hinweghören.

Robert Carsen, der dem Zürcher Publikum spätestens seit seiner ebenso witzigen wie klugen (und mittlerweile auf DVD erhältlichen) Inszenierung von Händels «Semele» ein Begriff ist, versucht es trotzdem. Bei ihm wird die Kirche zum Theater – schliesslich ist die Tosca eine berühmte Sängerin. Scarpias Gemächer und die Engelsburg verlegt der Kanadier ebenfalls in dieses Theater, ohne dass er deshalb die Handlung als Theater zeigen würde: Der böse Scarpia foltert Toscas Geliebten Cavaradossi sehr blutig, Tosca bringt ihren Peiniger tatsächlich um, und auch die Erschiessung des Cavaradossi findet zwar auf der Bühne statt, aber sie ist echt.

Wer ist Scarpia?

Geht das auf? Nicht, wenn man Carsens Inszenierung im Sinn von Puccinis Realismus versteht. Dann ist die Uminterpretation ziemlich fragwürdig: Wer soll dieser Maler Cavaradossi sein (ein Bühnenbildner?), und wie kommt es, dass er im Theater heimlich eine betende Frau porträtieren kann? Warum singt das Theaterpublikum ein «Te Deum»? Und wer ist Scarpia? Selbst die tyrannischsten Theaterdirektoren verzichten in der Regel auf die Mittel Folter, Erpressung, Vergewaltigung und Mord, und selten geraten sie derart unter Druck bei der Meldung, dass der politische Wind gedreht habe. Am Ende von Akt eins, wenn sich der Theatervorhang öffnet auf ein jeden barock-kirchlichen Prunk noch überprunkendes Marienbild, ist man versucht, Carsens Idee und die Kunst seines Ausstatters Anthony Ward als ästhetisch grandios, aber sinnlos abzuhaken.

Aus Toscas Sicht

Ganz anders – und weit überzeugender – wirkt die Inszenierung allerdings, wenn man sie als subjektive Sicht der Tosca versteht. Dann ist Cavaradossi natürlich ein Maler in der Kirche Sant Andrea della Valle (man hört es ja), und Scarpia bleibt der römische Polizeichef. Aber Tosca, die Sängerin, lebt ihr Theaterleben in der Realität weiter, die sie ziemlich verschoben zur Kenntnis nimmt. Alles wird bei ihr zum Auftritt, und Emily Magee zelebriert das genüsslich: Wie Trophäen trägt sie ihre diversen Blumensträusse, vor dem Gespräch mit Scarpia züpfelt sie hingebungsvoll ihre Handschuhe zurecht, und sie geht mimisch aufs Ganze, wenn es darum geht, ihre Gefühlslagen klar zu machen. Schliesslich hat sie die Liebe, die Eifersucht, die Heldinnenhaftigkeit schon tausendfach in ihren Rollen dargestellt, und Magee betont das mit einer etwas gläsernen, eher kunstvollen als warmen Stimme – Toscas Bühnenstimme eben.

Das passt durchaus zum Werk. Schliesslich ähnelt auch der Mord an Scarpia vielen anderen Opernmorden («erstickst du an deinem Blut?», fragt Tosca immer wieder in einer typischen Librettoformulierung). Und so richtig in ihrem Element ist sie, wenn sie Cavaradossi erklärt, wie er unter den Scheinschüssen zusammenzubrechen habe; fast bedauert sie, nicht selber an seiner Stelle zu stehen, und als er dann tatsächlich perfekt fällt, ist sie stolz auf ihren «Künstler».

Auch das Zürcher Opernpublikum spielt seine Rolle in dieser Sicht auf die Geschichte. «Vissi d`arte» singt Tosca, auf den letzten Ton folgt tosender Beifall, in den nach einer Weile auch Scarpia einfällt. So ist es nur logisch, dass sich zuletzt, nach Toscas Todessprung (nicht aus der Engelsburg, sondern von der Bühne) der Vorhang noch einmal öffnet: Da steht sie wieder, gesund und munter, und erhält zwei Blumensträusse von Scarpias Dienern. Applaus, Applaus.

Tosca also lebt weiter, der Tod ihres Geliebten Cavaradossi hält sie nicht davon ab. Damit erscheint nun aber dieser Cavaradossi plötzlich nicht mehr nur als Opfer des Scarpia, sondern auch einer Tosca, die seiner tiefen Liebe eine theatralische gegenüberstellt. Er wird zum alleinigen Sympathieträger dieser Aufführung, und Jonas Kaufmann tut sich nicht schwer mit dieser Aufgabe. Sein Cavaradossi ist zutiefst menschlich, in seinen Gefühlen und politischen Überzeugungen gleichermassen leidenschaftlich, aussergewöhnlich leise auch. Nur schon sein «E lucevan le stelle» lohnt den Besuch der Aufführung: Wie sehr ist einem dieser tenoral überhitzte Hit verleidet – und wie berührend ist er, wenn ein Sänger darin Nachdenklichkeit und gewaltsam abgeklemmte Lebenslust, Trauer und Liebe zu vermitteln weiss.

So ist an diesem Abend nichts zu hören vom dauer-brünstigen Liebhaber der meisten «Tosca»-Aufführungen. Und auch der dritte Protagonist, Scarpia, ist mit Thomas Hampson untypisch besetzt. Hampsons Bariton ist weit weniger schwarz, als man es sonst von diesem Bösewicht gewohnt ist; daran ändert auch sein geradezu mephistophelischer erster Auftritt zwischen den Theatersäulen nichts. So sehr er sich im zweiten Akt um sadistische, egomanische, lüsterne Töne bemüht: Es bleibt (gekonntes) Theater, auch bei ihm.

Dirigenten-Turbulenzen

Und das Orchester? Es spielt erstaunlich kompakt für die turbulente Vorgeschichte dieser Aufführung. Christoph von Dohnányi, der das Dirigat im Januar von Michael Tilson Thomas übernommen hatte und noch im «Opernhaus-Magazin» vom «riesigen Spass» an diesem Werk schwärmt, hat sich vier Tage vor der Premiere verabschiedet. Eingesprungen ist mit Paolo Carignani ein Kenner und Routinier der italienischen Oper, dem es nicht darum gehen konnte, noch rasch eine neue Sichtweise zu entwickeln (das wird sich im Folgenden kaum ändern: Carignani übernimmt nur einen Teil der Abende, den Rest besorgt Carlo Rizzi).

Feststellen lässt sich, dass einzelne Passagen bei der Premiere zu laut gerieten – obwohl der notorische Lautspieler Dohnányi betont hatte, dass es hier um Durchsichtigkeit, nicht um eine «durchgestemmte» Geschichte gehe. Feststellen lässt sich aber auch, dass die Sänger insgesamt präzis, kantabel und aufmerksam begleitet wurden. Mehr lässt sich unter diesen Bedingungen nicht erwarten. Und es genügt, um das Bild einer sehr bemerkenswerten «Tosca» abzurunden.






 
 
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