Mittelbayerische Zeitung, 23.07.2009
Von Gerhard Heldt

Seine Gesangskunst schlug das Publikum in ihren Bann
 
Ein großer Abend mit dem Ausnahmetenor Jonas Kaufmann bei den Schlossfestspielen
Foto: altrofoto.de

Beim ersten „Ball der Künste“ der Bayerischen Staatsoper München am 18. Mai 2007 sollte einer der hochrangigen Tenöre, die zum Gästepool des Hauses zählen, im Rahmenprogramm auftreten. Er war erkrankt, für ihn sprang ein junger Tenor ein, der sensationell sang und wahre Begeisterungsstürme auslöste. Es war Jonas Kaufmann, der damals 37-jährige, in München geborene und an der dortigen Musikhochschule ausgebildete, der längst auf allen großen Bühnen der Welt zwischen Mailand und New York heimisch war.

Mühelos in den Höhen

Seine Gesangskunst schlug alle in ihren Bann; stimmlich im so genannten „Zwischenfach“ zwischen lyrischem und jugendlichem Heldentenor zu Hause, sang er deutsche, italienische und französische Oper gleichermaßen souverän. Dass er mit dieser Vielseitigkeit und exzellenter, italienisch geschulter Stimme heute zur Crème de la crème einer schmalen Sänger-Elite gehört, bewies er mit der klugen Disposition seines Programms bei den Schlossfestspielen. Da stand kein Stimmbesitzer an der Rampe und suchte sein Heil in lauten, hohen Tönen – da stand ein Gestalter, der, jederzeit textverständlich, aus der Intimität seiner Stücke heraus Dramatik entwickelte, und aus Dramatik wieder in die Intimität zurückführte. Die baritonale Grundierung seiner Stimme lässt samtene Pianissimi zu, sie steigt aus diesen hinauf zu kraftvoll leuchtenden Höhen, wo sie mit dem metallenen Glanz eines jugendlichen Heldentenors strahlt. Alle Techniken des italienischen Belcanto hat Kaufmann zur Hand, um verblüffende dynamische Zurücknahmen zu erzielen und riesige Crescendo-Bögen zu bauen.

Zweimal kam der Maler Cavaradossi aus Puccinis „Tosca“ zu Gehör, zunächst mit „Recondita armonia“, dann mit dem Evergreen „E lucevan le stelle“ – beides überzeugend aus Text und Musik heraus gestaltet, stimmlich flexibel, mühelos in den Höhen. Lyonels schmachtender Arie „Ach so fromm“ aus Friedrich von Flotows „Martha“ schenkte er sanft fließende Lyrik und berückenden Höhenglanz.

Bei Werthers Arie „Pourquoi me réveiller“ aus Massenets Oper setzte Kaufmann gekonnt die Technik der „voix mixte“ ein, die in der französischen Oper des 19. Jahrhunderts gebräuchliche Verbindung von Bruststimme und Falsett.

Wer vor der Pause glaubte, zu wenig vom jungen Sänger gehört zu haben, wurde danach reich entschädigt: Neben der mitreißend gesungenen „Blumenarie“ aus „Carmen“ mit einem nur hingehauchten „Carmen je t’aime“ am Schluss war die Gralserzählung aus Wagners „Lohengrin“ zu erleben. Kaufmann war wie schon bei der Münchner Premiere vor gut zwei Wochen nicht nur A-Dur-Strahlemann (was ihm einige Kritiken ankreideten), sondern zu Beginn ein grüblerischer, leise und fast resignierender Erzähler, der erst bei der Nennung des Grals herrliche Spitzentöne präsentierte.

Er muss keine Konkurrenz fürchten

Hier wie auf die vier Zugaben reagierte das Publikum mit Jubelstürmen und standing ovations. Eine Arie des Dick Johnson aus Puccinis „La fanciulla del west“ (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) * geriet zur Demonstration exquisiter Gesangskunst, und das Auftrittslied Octavios „Freunde, das Leben ist lebenswert“ aus Lehárs Operette „Giuditta“ hat man seit Fritz Wunderlich nicht mehr so glanzvoll gehört. Mit „Non ti scordar di me“, einer Glanznummer von Benjamino Gigli, Giuseppe di Stefano und Luciano Pavarotti reihte sich Kaufmann nahtlos in die Reihe großer Tenöre ein, und wer das Frauen verachtende „La donna è mobile“ des Duca aus Verdis „Rigoletto so schwungvoll vorzutragen weiß, hat derzeit keine Konkurrenz zu fürchten.

Die Hofer Symphoniker unter der Leitung von Jochen Rieder gefielen als kompetente Begleiter mit technischer Zuverlässigkeit (Ouvertüren zu Verdis „Macht des Schicksals“ und Rossinis „Wilhelm Tell“), ließen aber auch Wünsche nach mehr Intensität (Intermezzo aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Bizets Ouvertüre „Patrie“ op. 19) und dynamisch differenziertem Spiel („Carmen-Suiten“ und Vorspiel zum 3. Aufzug „Lohengrin“) offen.

* der Schreiber verwechselt das mit dem Lamento aus L'Arlesiana, Ch'ella mi creda hat Jonas ganz bestimmt nicht gesungen.






 
 
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