Beim
ersten „Ball der Künste“ der Bayerischen Staatsoper München am 18. Mai 2007
sollte einer der hochrangigen Tenöre, die zum Gästepool des Hauses zählen,
im Rahmenprogramm auftreten. Er war erkrankt, für ihn sprang ein junger
Tenor ein, der sensationell sang und wahre Begeisterungsstürme auslöste. Es
war Jonas Kaufmann, der damals 37-jährige, in München geborene und an der
dortigen Musikhochschule ausgebildete, der längst auf allen großen Bühnen
der Welt zwischen Mailand und New York heimisch war.
Mühelos in den Höhen
Seine Gesangskunst schlug alle in ihren Bann; stimmlich im so genannten
„Zwischenfach“ zwischen lyrischem und jugendlichem Heldentenor zu Hause,
sang er deutsche, italienische und französische Oper gleichermaßen souverän.
Dass er mit dieser Vielseitigkeit und exzellenter, italienisch geschulter
Stimme heute zur Crème de la crème einer schmalen Sänger-Elite gehört,
bewies er mit der klugen Disposition seines Programms bei den
Schlossfestspielen. Da stand kein Stimmbesitzer an der Rampe und suchte sein
Heil in lauten, hohen Tönen – da stand ein Gestalter, der, jederzeit
textverständlich, aus der Intimität seiner Stücke heraus Dramatik
entwickelte, und aus Dramatik wieder in die Intimität zurückführte. Die
baritonale Grundierung seiner Stimme lässt samtene Pianissimi zu, sie steigt
aus diesen hinauf zu kraftvoll leuchtenden Höhen, wo sie mit dem metallenen
Glanz eines jugendlichen Heldentenors strahlt. Alle Techniken des
italienischen Belcanto hat Kaufmann zur Hand, um verblüffende dynamische
Zurücknahmen zu erzielen und riesige Crescendo-Bögen zu bauen.
Zweimal kam der Maler Cavaradossi aus Puccinis „Tosca“ zu Gehör, zunächst
mit „Recondita armonia“, dann mit dem Evergreen „E lucevan le stelle“ –
beides überzeugend aus Text und Musik heraus gestaltet, stimmlich flexibel,
mühelos in den Höhen. Lyonels schmachtender Arie „Ach so fromm“ aus
Friedrich von Flotows „Martha“ schenkte er sanft fließende Lyrik und
berückenden Höhenglanz.
Bei Werthers Arie „Pourquoi me réveiller“ aus Massenets Oper setzte Kaufmann
gekonnt die Technik der „voix mixte“ ein, die in der französischen Oper des
19. Jahrhunderts gebräuchliche Verbindung von Bruststimme und Falsett.
Wer vor der Pause glaubte, zu wenig vom jungen Sänger gehört zu haben, wurde
danach reich entschädigt: Neben der mitreißend gesungenen „Blumenarie“ aus
„Carmen“ mit einem nur hingehauchten „Carmen je t’aime“ am Schluss war die
Gralserzählung aus Wagners „Lohengrin“ zu erleben. Kaufmann war wie schon
bei der Münchner Premiere vor gut zwei Wochen nicht nur A-Dur-Strahlemann
(was ihm einige Kritiken ankreideten), sondern zu Beginn ein grüblerischer,
leise und fast resignierender Erzähler, der erst bei der Nennung des Grals
herrliche Spitzentöne präsentierte.
Er muss keine Konkurrenz fürchten
Hier wie auf die vier Zugaben reagierte das Publikum mit Jubelstürmen und
standing ovations. Eine Arie des Dick Johnson aus Puccinis „La fanciulla del
west“ (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) * geriet zur Demonstration
exquisiter Gesangskunst, und das Auftrittslied Octavios „Freunde, das Leben
ist lebenswert“ aus Lehárs Operette „Giuditta“ hat man seit Fritz Wunderlich
nicht mehr so glanzvoll gehört. Mit „Non ti scordar di me“, einer
Glanznummer von Benjamino Gigli, Giuseppe di Stefano und Luciano Pavarotti
reihte sich Kaufmann nahtlos in die Reihe großer Tenöre ein, und wer das
Frauen verachtende „La donna è mobile“ des Duca aus Verdis „Rigoletto so
schwungvoll vorzutragen weiß, hat derzeit keine Konkurrenz zu fürchten.
Die Hofer Symphoniker unter der Leitung von Jochen Rieder gefielen als
kompetente Begleiter mit technischer Zuverlässigkeit (Ouvertüren zu Verdis
„Macht des Schicksals“ und Rossinis „Wilhelm Tell“), ließen aber auch
Wünsche nach mehr Intensität (Intermezzo aus Mascagnis „Cavalleria
rusticana“ und Bizets Ouvertüre „Patrie“ op. 19) und dynamisch
differenziertem Spiel („Carmen-Suiten“ und Vorspiel zum 3. Aufzug
„Lohengrin“) offen. * der Schreiber verwechselt das
mit dem Lamento aus L'Arlesiana, Ch'ella mi creda hat Jonas ganz bestimmt
nicht gesungen. |