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Stuttgarter Nachrichten, 07.10.09 |
Susanne Benda |
Mahler: Das Lied von der Erde, Bad Urach (in Metzingen)
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Im Wartesaal zum großen Glück
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Tenor Kaufmann in Metzingen |
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Stuttgart - Am Dienstagabend ist die Stadthalle von Metzingen ein großer
Wartesaal. Das Publikum, das zum populärsten Auswärtsspiel der diesjährigen
Herbstlichen Musiktage Bad Urach gekommen ist, muss sich gedulden: Bevor
Jonas Kaufmann, der ebenso schön aussehende wie singende Mann aus München,
Deutschlands große Tenor-Hoffnung zu Beginn des 21. Jahrhunderts, ins
Rampenlicht tritt, machen erst einmal die Musiker der Staatsphilharmonie
Rheinland-Pfalz aus Ludwigshafen die Bühne voll.
Akustisch gesehen, kommt man sich vor wie in einem indischen Zug - nur ist
es in dem trotz aller Fülle meist leiser. Das Orchester ist viel zu groß,
viel zu laut für den bescheidenen Saal. Und die Akustik ist so trocken, dass
sie nichts verzeiht. Sie nimmt erst Hector Berlioz' zauberhaften "Nuits
d'été" den Duft und die Luft zum Atmen und lässt anschließend das
zerbrechliche instrumentale Geflecht, das Gustav Mahlers "Lied von der Erde"
stützt und abfedert, immer wieder in einzelne Klänge und Gesten zerfallen.
Zwar müht sich der Dirigent Peter Schrottner am Pult um eine
homogenisierende Schadensbegrenzung, doch das große Orchesterglück wird dem
Wartesaal nicht zuteil.
Verschattet wirkt zunächst auch das Singen der Mezzosopranistin Margarete
Joswig, die bei Berlioz noch ganz alleine auftritt. Dass sie eine eher
nüchterne und - trotz aller Tiefe - farbarme Stimme hat, sieht man ihr nach,
nicht jedoch die mangelnde Genauigkeit beim Ansatz und bei der Formung der
Töne. Wenn die Sängerin allzu oft zu tief beginnt und sich hernach zum
Zielton hochmogelt, denkt man unweigerlich daran, dass vor allem dramatische
Tenöre diese Eigenart pflegen - also solche Sänger, wie Joswigs Mann einer
ist.
Der jedoch heißt Jonas Kaufmann. Er wartet erst draußen und kommt dann
bei Mahlers Orchesterlieder-Sinfonie im Wechsel mit seiner Frau zum Zug.
Aber wie! Gleich seine ersten Töne sind eine vokale Offenbarung: Ganz
gerade, präzise und unverkünstelt kommt sein "Schon winkt der Wein im
goldnen Pokale", und das "Dunkel ist das Leben, ist der Tod" am Ende des
ersten Liedes ist trotz aller Dramatik von klarster Eindringlichkeit. Von
Anfang an spürt man die enorme Präsenz dieses Sängers, seinen packenden
Ausdruckswillen - und immer wieder staunt man allein über die Qualität von
Kaufmanns Stimm-Material.
Abgenutzt wirkt bei diesem vielgefragten Sänger noch nichts: nicht die
Strahlkraft in der Höhe, nicht die solide baritonale Basis und auch nicht
die Präzision in der Ausgestaltung der Phrasen in Text und Musik. Die Lust
und die Souveränität, mit der Jonas Kaufmann sein "Was geht mich denn der
Frühling an, / lasst mich betrunken sein!" ins Publikum hineinlacht,
verleitet dieses zu spontanem Zwischenapplaus.
Da spürt auch das Orchester den szenischen Gestus und spielt mit, und
Margarete Joswig gewinnt im Wechsel mit ihrem Mann mehr Mut und Strahlkraft.
Ihr "Ewig, ewig, ewig" am Schluss rührt ans Herz. Am Ende bekommen beide
Sänger je zwei Blumensträuße; die Mezzosopranistin reicht die ihren spontan
an die Musiker hinter ihr weiter und teilt den floralen Restbestand mit dem
Gatten. Juristen nennen so etwas eine Zugewinngemeinschaft.
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