Wer will fleißige Handwerker sehn, der muss in die
Oper gehen -Richard Jones inszeniert, Kent Nagano dirigiert und Jonas
Kaufmann singt Wagners "Lohengrin" bei den Münchner Opernfestspielen
Foto: W. Hösl
Ob
da die unsichtbare Hand eines vielleicht allzu ehrgeizigen Intendanten mit
Sinn fürs Große Ganze mit im Spiel war? "Under construction" - im Bau, so
lautet das übergeordnete Motto der diesjährigen Münchner Opernfestspiele.
Und was man auf der von Ultz ausgestatteten Bühne der neuen
"Lohengrin"-Inszenierung zu sehen bekommt, erinnert doch stark an die gute
alte Wüstenrot-Werbung: Auf diese Steine können Sie bauen. Während des
Vorspiels, das ja eigentlich die Erscheinung des Grals in Klänge übersetzen
soll, hat, nein: entwirft Elsa eine Vision. Ihre Utopie ist allerdings
konkreter und auch privater als die der Gralsritter, es geht schlicht um den
Traum von den eigenen vier Wänden.
Zu den mystischen A-Dur-Klängen, die Charles Baudelaire einst mit einem
Opium-Trip verglich, zeichnet die somnambule Prinzessin von Brabant den
überraschend nüchternen Plan eines architektonisch wenig ansprechenden
Reihenhäuschens. Und sobald die Handlung losgeht, wird fleißig gemauert.
Stein auf Stein setzen Elsa und Lohengrin, kaum dass sie sich ihre Liebe
gestanden haben, und schauen sich, die Kelle in der Hand, beim
Mörtelverstreichen tief in die Augen. Das Volk von Brabant geht dem
häuslebauenden Paar eifrig zur Hand. Im Akkord wird gehobelt, gehämmert und
gespachtelt. Pünktlich zur Hochzeit ist das Häuschen aus hässlichen weißen
Ytong-Quadern bezugsfertig. Ein Kleinbürgertraum, eingerichtet im
Landhausstil; sogar eine Wiege steht schon bereit. Ausgerechnet jetzt stellt
Elsa die verbotene Frage, sie muss einfach wissen, wer der tapfere Streiter
ist, der gemeinsam mit ihr alle Widrigkeiten beim Erwerb des neuen
Eigenheims überwunden hat. So scheitert das angebahnte Familienidyll, bevor
zur Zeugung geschritten werden kann: Lohengrin brennt das Fertighaus samt
Ehebett und Wiege nieder und sucht, den lieben Schwan im Arm, das Weite.
Gnadenlos niedergebuht wurde die Inszenierung von Richard Jones, der dem
Münchner Publikum aus der Ära von Ex-Intendant Peter Jonas mit seiner
spektakulären "Giulio Cesare"-Inszenierung und mit einem etwas blassen
"Pelléas" noch gut in Erinnerung ist. Doch vielleicht hat Jones' jüngste
Regiearbeit die ganze Aufregung gar nicht verdient. Dabei gäbe es für einen
Lohengrin-Regisseur ein paar lohnende Fragen zu beantworten. Anders als Elsa
darf er sie nicht nur stellen, er wird sogar dafür bezahlt. So ganz
selbstverständlich ist es ja schließlich nicht, dass Gott einen
Schwanenritter zur Lösung von Staatskrisen entsendet, der nichts über sich
sagen will und trotzdem von Volk und Kaiser umstandslos die Macht angetragen
bekommt. Doch anders als die neugierige Elsa scheint sich Richard Jones für
die Hauptfigur und ihre überirdische Herkunft nicht sonderlich zu
interessieren. Immerhin ist ihm nicht entgangen, dass Wagner mit seinem
Helden eine politische Utopie ins Spiel bringt, die - wie könnte es bei
diesem revolutionär-anarchistischen Romantiker anders sein -
demokratietheoretisch nicht völlig unbedenklich ist. Jedenfalls lässt Jones
im ersten Akt ein paar faschistische Uniformträger aufmarschieren. Eine
wenig überraschende Assoziation, die er auch schon bald wieder völlig aus
den Augen verliert. Übrig bleibt die unergiebige Metapher vom Häuslebauen.
Das alles wirkt irgendwie lustlos, ja denkfaul, dem Regietheateranspruch zum
Trotz. Warum sich am Schluss dann alle in kollektivem Selbstmord eine Kugel
in den Kopf jagen? Ach, reden wir lieber über die Musik.
Kent Nagano überzeugt am Pult des Staatsorchesters mit seiner
energiegeladenen Lesart - trotz kleiner Unschärfen im Zusammenspiel mit dem
Chor und trotz einer gewissen Kühle, die von ihm ausgeht. Es fehlt am
expressiven Nachzeichnen der Linien, an Phrasierungs- und
Klangfarbenphantasie: Auch die Orchesterstimmen wollen sich aussingen. Dafür
gelingt der große formale Bogen relativ mühelos; die Temporelationen wirken
stimmig, das innere Gefälle trägt den episch-symphonischen Fluss wie von
selbst voran. Überzeugend die Bösewichter: Michaela Schuster als flamboyante
Ortrud, Wolfgang Koch als Telramund mit heldischer Wucht. Sängerisch war der
Abend absolut festspielwürdig. Das Hauptverdienst daran trägt allerdings
nicht die Hauptfigur. Jonas Kaufmann war im Vorfeld der Premiere mit
großem Publicity-Aufwand als neuer Tenor-Superstar ausgerufen worden und
stand unter geradezu unmenschlichem Erwartungsdruck. In den ersten zwei
Akten blieb er etwas blass, am Schluss jedoch zeigte sich, dass er sich die
Kräfte klug eingeteilt hatte. Warm und emotional intensiv gelang die
Gralserzählung. Allerdings klingt sein eigentlich angenehm timbrierter Tenor
nicht immer ganz frei. Grandios dagegen die Elsa von Anja Harteros. So
anmutig, so belcantoselig kann Wagner klingen! Auch im piano beherrscht ihr
leuchtender Sopran mühelos das Geschehen - umso mitreißender wirkt die
dramatische Kraft, über die sie gleichermaßen verfügt. Eine phantastische
Leistung, die dankenswerterweise über weite Strecken der Inszenierung
hinwegsehen lässt. |