Rhein Zeitung, 7. Juli 2009
Aus München
berichtet unser Kulturchef Claus Ambrosius
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Lohengrin ist beachtlich, die Regie ächzt
 
Foto: W. Hösl, Staatsoper
Die Vermarktungsstrategien auf dem Musikmarkt haben lang die Grenze zwischen sogenannter ernster und unterhaltender Musik hinter sich gelassen: Der Münchner Lohengrin ist ein gutes Beispiel dafür. Vor Kurzem hatte die Plattenfirma Decca die neue CD "Sehnsucht" des Tenors Jonas Kaufmann veröffentlicht, mit großen Aufklebern, die auf einen Fixtermin hinwiesen: Juli 2009, "Lohengrin" in München, als sei es die Live-Tournee zum neuen Album.

Dazu eine geschickte Platzierung von Interviews und Geschichten rund um den sympathischen und attraktiven Sänger: Obwohl Kaufmann schon seit einigen Jahren auf internationalen Bühnen gebucht ist und sich von der New Yorker MET bis zu den Salzburger Festspielen einen guten Namen gemacht hat, wurde er erst mit dieser aktuellen Aktion auch breiteren Schichten bekannt.

Richtig bei Wagner?
Nun also: Lohengrin. Kein eben leichtes Debüt für den 40-Jährigen. Aus dem Werkkanon Richard Wagners hat Kaufmann bereits den Stolzing in den "Meistersingern" konzertant ausprobiert und den Parsifal gesungen, für die Zukunft plant er Siegmund, Siegfried... Ob man ihm diese Ziele wünschen soll?


Klar ist: Die Zuschauer im Nationaltheater sowie bei den Liveübertragungen in München und Wien erlebten einen Tenor, der über eine besondere Qualität verfügt: die sofortige Wiedererkennbarkeit eines eigenen Timbres. Noch dazu eines sehr markant-männlichen Klanges, der eher aus baritonaler Tiefe als nur in tenoralen Höhen gut zu klingen weiß. Dazu eine blendende Bühnenerscheinung: Das ist ja schon etwas. Aber: Diese Stimme ist auch in Veränderung begriffen, hat in ihren Piano-Nuancen entgegen ihrem Vermögen noch vor zwei oder drei Jahren einiges eingebüßt. Doch Kaufmann gibt sich hier nicht mit Durchstehen zufrieden und gestaltet etwa die "Gralserzählung" mit großem Einsatz als filigrane Versammlung seiner künstlerischen Mittel: auf jeden Fall ein beachtliches Debüt, man darf gespannt sein, was sein Auftritt in derselben Rolle in der Bayreuther Neuinszenierung im kommenden Jahr bringen wird.
Schade, dass dieses heiß erwartete Opernereignis von solch einer unbefriedigenden Neuproduktion wie in München begleitet wurde:
Richard Jones sieht Lohengrin tatsächlich als Baustelle. Elsa von Brabant baut vor sich hin, Lohengrin kommt als Baumeister in Zimmermannskluft dazu, gemeinsam ziehen sie ihr klein" Häuschen hoch, das Lohengrin nach der gründlich misslungenen Hochzeitsnacht samt Wiege für einen erhofften Nachwuchs in Flammen legt. Das ist alles nett anzuschauen, führt aber zu keinem anderen Erkenntnisgewinn über die solide Personenführung hinweg.

Das ganze Leben ist ein Bau
Das Programmheft ächzt sich im Interview mit dem Architekten Albert Speer immerhin zu der Lösung durch: Das Bauen an sich und damit auch der Architekt sei zu einer bestimmenden Metapher unserer Gesellschaft geworden, schließlich baue man ja auch an jeder Beziehung. Recht wenig Sinn für ein offensichtlich nicht ganz aufgegangenes Regiekonzept einer Produktion, die bei der Premiere in wirrer Lichtführung, sehr statischen Chorauftritten und als Kulissenflugtag noch den Eindruck einer Bauprobe vermittelt, die zum Finale unversehens als Massenselbstmord auf einem Pritschenlager endet. Dazu gediegen unvorteilhafte Kostüme zwischen T-Shirt und Braunhemd von Bühnen- und Kostümbildner Ultz: Das Publikum quittiert all das schon zu den Pausen mit heftigen Buhs.
Lammfromm hingegen wird das Dirigat des musikalischen Hausherren Kent Nagano beklatscht: Hier erlebt man nicht zum ersten Mal unter seiner Führung in München des Kaisers neue Kleider. Offensichtlich ist dirigentisches Handwerk am Nationaltheater nicht gefragt, wenn der Dirigent stattdessen eine beeindruckende Schau im Graben abzieht. Das Orchester und der Chor versuchen zu folgen - mit mäßigem Erfolg. So viele wackelige Einsätze, die Chöre fast nie wirklich zusammen, ständige Irritationen bei den Solisten, die sich je nach Prominenz erlauben, das Dirigat mehr oder weniger erfolgreich zu ignorieren: Das sollte an einem deutschen ersten Haus so nicht möglich und nötig sein. Sicherlich hätte auch der neu polierte Stern von Jonas Kaufmann mit etwas organischeren Tempi und wirklicher Begleitung aus dem Graben noch heller strahlen können.

Einen sehr schönen Erfolg an seiner Seite ersingt sich Anja Harteros als Elsa von Brabant: Sie ist dem Münchner Publikum mit Rollen wie Händels "Alcina" oder Verdis "Traviata" bekannt und findet für ihre erste Elsa beeindruckend gesunde, starke Töne in einer rundherum hochmusikalischen, leuchtenden Interpretation.
Als Widersacherpaar können sich Wolfgang Koch (noch geschärfter und überzeugender als im Stuttgarter "Lohengrin") als Telramund und Michaela Schuster (noch einmal besser als im aktuellen Berliner "Lohengrin") als seine Gattin Ortrud profilieren, der junge Christof Fischesser macht als König Heinrich auf die nächsten Rolleninterpretationen mit seiner außergewöhnlich schönen Bassstimme neugierig.

Bleibt als Kurzfazit nach vier aufeinander folgenden "Lohengrinen"-Neuproduktionen in Stuttgart, Berlin, Frankfurt und München: Um den Wagnergesang ist es allen Unkenrufen zum Trotz nicht schlecht bestellt. In musikalischer Hinsicht war vor allem Berlin eine Reise wert wegen der Leitung Daniel Barenboims - dort schuf auch Stefan Herheim die ungewöhnlichste und theaterprallste Inszenierung.






 
 
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