Große Kunst ganz klein: Bei den Münchner
Opernfestspielen scheitert Regisseur Richard Jones mit seiner Inszenierung
der Wagner-Oper
Mit
Wagners .‚Lohengrin“ präsentierten die Münchner Opernfestspiele am
Sonntagabend Ihre Eröffnungspremiere. Gespannt war man vor allem auf Jonas
Kaufmann in der Titelpartie. Er gehörte zusammen mit Anja Harteros als Elsa
zu den Gewinnern des Abends. Verlierer waren der heftig ausgebuhte englische
Regisseur Richard Jones und Generalmusikdirektor Kent Nagano.
Vielleicht lautet die Frage ja: Wer hat Elsa den Bausparvertrag verkauft?
Oder: Wer hat vergessen, in dem schönen neuen Eigenheim der Lohengrins eine
Dusche einzubauen? Unter anderem läuft aber alles darauf hinaus: Warum zieht
Lohengrin nicht einmal die Schuhe aus, wenn er zum ersten Mal in das frisch
gezimmerte Ehebett steigt?
Wir könnten es aber auch einfach nur so deuten: Wer will lustige Handwerker
sehen, der muss in München in die Oper gehen. Elsa hat zwar einen Plan,
offensichtlich aber keine Baugenehmigung. König Heinrich soll schlichten,
Telramund würde sie am liebsten mitsamt den bereits errichteten Grundmauern
abfackeln. Da erscheint, mit Schwan auf dem Arm, Lohengrin. Kurze
Fechteinlage, und die Sache ist geklärt, jetzt packen alle mit an, Szene für
Szene wächst das Haus (Bühne und Kostüme: Ultz), bekommt Dach, Balkon,
mehrere Hasenställe und einen Spruch aus Blumen: „Hier, wo mein Wähnen
Frieden fand, Wahnfried sei dieses Haus genannt.“
Das kennen wir aus Bayreuth, und im Programmheft steht etwas vom
„Gesellschaftsarchitekten“ Wagner, der wie sein Protagonistenpaar
Lohengrin/Elsa eine nette Gesellschaft erbauen wollte. Dass Lohengrin als
Projektion seines Schöpfers verstanden werden kann, ist nicht neu. Selten
aber wurde dieses vielschichtige Stück, in dem es um Macht ebenso geht wie
um die Problematik des Künstlers in einer feindlichen Welt, in dem wir Zeuge
werden, wie eine große Utopie an den Widrigkeiten einer abweisenden
Gesellschaft scheitert und wie eine göttliche Instanz in ihrer Reinheit und
ihrem Glanz den Menschen schlichtweg überfordert, selten also wurde die
Aussage des „Lohengrin“ in einer so banalen Metapher eingekerkert. Selten
wurde große Kunst so klein gemacht. Da helfen dann auch die Anspielungen auf
den Faschismus nichts mehr: die braunen Hemden der königlichen Truppen oder
der Heerrufer, dessen Volksansprachen auf eine kreisrunde Videoleinwand
übertragen werden, was man aus dem Film „1984“ kennt.
Dass Lohengrin, nachdem Elsa die verbotene Frage gestellt hat, Ehebett und
Wiege anzündet, war vorhersehbar wie eigentlich alles in dieser nur in
wenigen Augenblicken — wie etwa der Brautgemach-Szene des dritten Aktes —
berührenden Inszenierung. Am Ende, wenn Lohengrin wieder weg ist, legen sich
alle auf Feldbetten, eine Pistole in der Hand. Die Utopie ist tot, es lebe
der Massenselbstmord?
Man hätte sich also über die Musik freuen können. Zusammen mit der Menge vor
der Staatsoper, die die Liveübertragung der Premiere auf einer Großleinwand
verfolgte. Kent Nagano wählte eine eher ruppige Gangart in einer zum Teil
grenzwertigen Lautstärke. Emphase und Pathos statt Differenzierung und
Transparenz. So weit, so gut. Was aber schlichtweg einem Klangkörper wie dem
Bayerischen Staatsorchester unwürdig ist, sind die zahlreichen
Koordinationsprobleme zwischen Bühne und Graben. Der Grund hierfür steht am
Pult. Nagano gelang es weder, den Chor durch die bisweilen zugegebenermaßen
vertrackten rhythmischen Klippen zu steuern, noch sorgte er mit klarer
Zeichengebung für deutliche Solisteneinsätze. Für eine Festspielpremiere in
München ist das nachgerade peinlich.
So kann man sich nur an die Sänger halten, und zumindest hier wurde niemand
enttäuscht. Das fängt mit einem in seiner animalischen Bosheit tief
beeindruckenden Wolfgang Koch als Telramund an und setzt sich mit Christof
Fischesser (König Heinrich), Evgeny Nikitin (Heerrufer) und einer diabolisch
auftrumpfenden Ortrud, gesungen von Michaela Schuster, fort. Das
Traumpaar des Abends waren jedoch Anja Harteros als Elsa und Jonas Kaufmann
in der Titelpartie. Auch optisch. Harteros verfügt über eine warme, sehr
weich und leicht dunkel eingefärbte Stimme, die sich trotzdem strahlend und
ohne zu forcieren über das Orchester legt. Eine wunderbare Elsa. Ihr zur
Seite, der Sunnyboy der deutschen Opernszene, Jonas Kaufmann, dessen
Karriere im Heldenfach so langsam richtig in Fahrt kommt. Sicher, er hat in
der Höhe kein wirkliches Piano, muss, etwa in der Gralserzählung, von der
Brust- in die Kopfstimme wechseln. Aber was sind das für Spitzentöne! Eine
solche Strahlkraft war lange nicht mehr zu hören im deutschen Heldenfach.
Kaufmanns baritonal getönter Tenor schillert und glänzt in genau jenen
bronzefarbenen Tönen, die man sich für einen Wagner-Tenor wünscht. |